: Einblick (620)
Clemens Wilhelm, Künstler
taz: Welche Ausstellung in Berlin hat dich zuletzt an- oder auch aufgeregt? Und warum?
CW: Mich regt zurzeit eher Politik auf als Kunst. Angeregt hat mich „Aufbau Ost“ von Henrike Naumann (Galerie Wedding). Ihre Neonazi-Jugendzimmer sind in ihrer Banalität ziemlich unheimlich und haben in meinem Kopf viele Bilder heraufbeschworen. Das hatte eine seltene suggestive Stärke – Hakenkreuze am Leopoldplatz sieht man auch nicht jeden Tag.
Welches Konzert oder welchen Klub kannst du empfehlen?
Vor 20 Jahren war ich auf meinem ersten Motorpsycho-Konzert. Seitdem kommt diese Band fast jedes Jahr aus Trondheim mit neuem Album nach Berlin. Die Konzerte gehen meist zweieinhalb Stunden und sind in ihrer klanglichen Überwältigung nur schwer zu beschreiben.
Welche Zeitung und welches Buch begleitet dich durch den Alltag?
Ich lese meist fünf Bücher parallel, je nach Stimmung und Wachzustand. Vor dem Aufstehen lese ich meistens ca. eine Stunde mehrere Zeitungen. Zurzeit lese ich mit großem Vergnügen erneut die Werke des Berliner Künstlers Thomas Kapielski. Er hat einen so präzisen Umgang mit der Sprache und es gibt auch viel zu lachen.
Was ist dein nächstes Projekt?
Seit drei Jahren entsteht ein Film über die Eiszeitskulptur Die Schwimmenden Rentiere. Sie ist 13.000 Jahre alt, sieht aus wie ein Filmstill und soll das erste „nutzlose Werkzeug“ sein und somit der Beginn der Kunst. Wir haben in Frankreich gedreht am Fundort in einer Höhle, auf einem Gletscher in Island und in einer Herde von 1.000 schwimmenden Rentieren in Norwegen. Parallel entstehen andere Arbeiten.
Clemens Wilhelm (geb. 1980 in Berlin) zeigt seine Videos international, u. a. CFCCA Manchester, Times Museum Guangzhou,Anthology Film Archives NYC, Stuttgarter Filmwinter, WRO Media Art Biennale Wroclaw. 2014 Preisträger des Now & After Video Art Festival Moscow. Studium an der HBK Braunschweig bei Candice Breitz und Michael Brynntrup. Am Freitag eröffnet seine Einzelausstellung im HilbertRaum (s. S. 14).
Welcher Gegenstand/welches Ereignis des Alltags macht dir am meisten Freude?
In meiner Küche hängt ein Foto von meiner Oma mit meinem einjährigen Vater auf dem Arm. Es ist 1945 als letztes Bild vor der Flucht aus Pommern aufgenommen. Es wurde an meinen vermissten Opa geschickt an die Front, der so seinen Sohn das erste Mal sehen sollte. Dieses Bild wird nie alt – es ist gut, es jeden Tag zu betrachten.
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