: Was wollten sie denn nun?
Premiere Die Bremer Shakespeare Company bringt die Verwechslungskomödie „Was ihr wollt“ als schräge Crossdresser-Inszenierung auf die Bühne und will doch etwas zu viel
von Karolina Meyer-Schilf
Es ist nicht das letzte ungelöste Problem der Theatergeschichte, aber doch: 415 Jahre lang rätselte das Theaterpublikum, ob Shakespeare mit Illyrien die historische römische Provinz an der Adria meinte oder nicht vielmehr einen fiktiven Ort wie Utopia, wie es auch Regisseur Ulrich Greb im Programmheft seiner neuen Inszenierung von „Was ihr wollt“ deutet. Seit der erfrischenden Rezitation des Mallorca-Evergreens „Dicke Titten Kartoffelsalat“ bei der Premiere in der Bremer Shakespeare Company jedoch ist klar: Illyrien liegt am Ballermann.
So ganz stimmt das natürlich nicht. Das kühl anmutende Setting aus Laufsteg, Kamera und Spiegel sowie die überall verstreut herumliegenden Kleidungsstücke verweisen eher auf einen Jahrmarkt der Eitelkeiten, in dem das meiste Pose und Illusion ist und nur wenig Wahrhaftigkeit.
Wie auch immer: Hier, an der illyrische Küste, wird die schiffbrüchige Viola angespült. Ihren Bruder Sebastian hält sie für tot, und so beschließt sie, sich am Hof des örtlichen Herzogs Orsino als Diener zu verdingen. Sie verkleidet sich als Mann und gibt sich als Cesario aus. Orsino liebt die Gräfin Olivia, die jedoch selbst um ihren Bruder trauert und nichts von ihm wissen will. Ihr Haushofmeister Malvolio wiederum hofft auf ihre Gunst und somit seinen gesellschaftlichen Aufstieg. Als bucklige Verwandtschaft gruppieren sich außerdem Tobias von Rülps und sein Freund Andreas von Bleichenwang um die Gräfin. Auch Letzterer hofft auf eine Heirat. Flankiert wird das Treiben vom obligatorischen und stoisch die Trommel schlagenden Narren.
Aus dieser Ausgangslage entspinnt sich in knapp drei Stunden eine überraschend kurzweilige Verwechslungskomödie: Orsino liebt Viola, die liebt Cesario, der aber eigentlich Viola ist und Orsino liebt. Und dann kommt auch noch Sebastian wieder. In den üblichen Kurzzusammenfassungen heißt es in solchen Fällen meistens: „Die Ereignisse überschlagen sich.“ Das tun sie auch hier, angesichts eines solchen Plots aber in erfreulich unterhaltsamer Weise.
Die alles entscheidende Frage dabei: Wer ist wer, und vor allem: wie viele? Da ist zum einen Michael Meyer, der sich gleich zu Beginn mühsam in eine Strumpfhose friemeln muss, um für seine Dreifachbesetzung als Viola, Cesario und Sebastian gerüstet zu sein. Philipp Michael Börner verkörpert Zofe Maria ebenso wie ihre Herrin, die Gräfin Olivia, im schrägen Drag-Queen-Outfit.
Das ist Shakespear’sche Aufführungspraxis zum Exzess gesteigert: Männer spielen Frauen, Frauen spielen Männer und alle spielen mehrere Rollen. Nur Malvolio ist einfach Malvolio. Seine Figur ist die tragischste, und Petra-Janina Schulz sticht mit der Darstellung des gestrengen Haushofmeisters, dem durch Bleichenwang und Rülps aufs Übelste mitgespielt wird, beeindruckend hervor.
Das liegt nicht zuletzt auch daran, dass Malvolio die einzige Figur ist, deren Charakter sich in dieser rasanten Crossdresser-Inszenierung überhaupt entwickeln kann. Er ist der unverzichtbare Ruhepol für die ZuschauerInnen und der einzige Charakter, bei dem überhaupt eigene Intentionen deutlich werden. Das ist eine Schwäche dieser Inszenierung, die dem ohnehin komplizierten Plot durch das ständige Kleider- und Rollenwechseln immer noch eins draufsetzt.
Auch wird nicht recht deutlich, was mit dem Crossdresser-Ansatz außer der Potenzierung der Identitäsverwirrung eigentlich genau bewirkt werden soll. Davon abgesehen, sorgt das Stück im Publikum ganz offensichtlich für kurzweilige Unterhaltung, trotz oder gerade wegen der fehlenden Subtilität.
Ebenso exzessiv wie die restliche Inszenierung muten auch die Gewaltszenen an, denen gerade Malvolio ausgesetzt ist. Der beiläufige Tritt gegen den Blecheimer, unter dem Malvolios Kopf gefangen ist, mag beim ersten Mal noch witzig sein. Die ständigen und zunehmend wütenderen Tritte lassen die ZuschauerInnen jedoch eher ratlos zurück. So bleibt am Ende eines über weite Strecken unterhaltsamen Abends dennoch die Frage, ob Regisseur Ulrich Greb mit seiner temporeichen Inszenierung nicht doch zu viel wollte.
Termine: 7. und 21. Mai, sowie 4. Juni, 19.30 Uhr, Theater am Leibnizplatz
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