dvdesk : Den Draht bloßlegen
Die Wahrheit der unwillkürlichen Geste kann nur eine Kamera sehen: Endlich sind Filme Robert Bressons auf DVD zugänglich
Während in jedem Supermarkt das Neueste aus Hollywood sowie weite Teile dessen, was man in Videotheken nur in den untersten Regalen findet, zu Schleuderpreisen auf DVD verkauft wird, warten viele Meisterwerke der Filmgeschichte auf die Veröffentlichung. Einer der bedauerlichsten Fälle war das Werk Robert Bressons, das lange überhaupt nicht auf DVD erschlossen war. Im Lauf des letzten Jahres hat sich zum Glück sehr viel getan. Eine französisch-englische Edition von „Pickpocket“ (1959), „Der Prozess der Jeanne d'Arc“ (1962) und Bressons letztem Film „Das Geld“ (1982) schließt eine weitere empfindliche Lücke. Die ab Ende Oktober auch einzeln erhältlichen Filme haben in der bei www.mk2.com produzierten französischen Version deutsche Untertitel, die höchst sehenswerten Extras sind englisch untertitelt. Allen, die sich die Suche auf fremdsprachigen Websites ersparen wollen, sei der DVD-Findedienst www.msuchtnachfilm.de empfohlen.
Was auf DVD überhaupt zu leisten ist, macht die auf zwei Discs verteilte Ausgabe von „Pickpocket“ deutlich. Die erste Disc bietet im einwandfreien Transfer den Film, der gerade in der inhaltlichen Nähe zum Gangster-Genre die Einzigartigkeit des Bresson’schen Herangehens vor Augen führt. Inspiriert von Dostojewskis „Schuld und Sühne“ fragt er in „Pickpocket“: Kann es den herausragenden Einzelnen geben, der sich über die allgemeine Moral mit dem Recht seines Genies hinwegsetzen darf? Exemplifiziert wird diese Frage am Taschendieb Michel, der so weit geht, sogar seine eigene Mutter zu bestehlen. Die strenge Inszenierung läuft hinaus auf die nicht psychologisch zu verstehende Erlösbarkeit des an seinem Hochmut gescheiterten Menschen. Wie stets legt der Katholik Bresson theologische Lektüren nahe – seine besondere Qualität ist es jedoch, diese ganz in Fragen der filmischen Ästhetik einzusenken.
Diese Ästhetik ist als eine der Reduktion wahrgenommen worden, des Verzichts auf Effekte, der Konzentration auf Geräusche, Gesten, der Ablehnung darstellerischer Virtuosität. Bresson selbst bringt es in einem der seltenen, als Extra zur „Jeanne d'Arc“-DVD offerierten Interviews auf die schöne Metapher vom Elektriker, der, um eine Verbindung herzustellen, erst einmal die Hülle der Kabel entfernt und den Draht bloßlegt. Die vermeintliche Einfachheit der Filme von Robert Bresson ist jedoch immer schon dem Paradoxen verdankt. Er möchte zum Kern, zur Wahrheit, zur Natur dessen zurückkehren, was der Film als Film erkennen, zeigen und ausdrücken kann, aber nicht auf dem Wege einer als realistisch verstandenen Natürlichkeit. So verabscheute Bresson jede Schauspielerei als dem Theater, nicht dem Film zugehörig und hat deshalb sehr bald nur noch mit Laien gearbeitet, denen er Bewegungen und Blicke vorgab, aber keinerlei psychologische Anweisungen. Die Intensität und die Wahrheit des Ausdrucks, die sich dadurch einstellen sollen, ergeben sich ohne jede Bewusstheit, und zwar als eine Wahrheit der unwillkürlichen Geste, die nur die Kamera erhaschen oder einfangen kann.
Für Bressons Arbeit mit seinen als „Modelle“ bezeichneten Darstellern ist Babette Mangoltes auf der Bonus-Disc zu findender Film „Les Modèles de Pickpocket“ höchst aufschlussreich. Ausgehend von einer zufälligen Begegnung mit dem „Pickpocket“-Nebendarsteller Pierre Leymaire (Jacques) hat Mangolte 40 Jahre nach der Entstehung des Films auch die Hauptdarsteller Martin La Salle (Michel) und Marika Green (Jeanne) aufgesucht. Mangolte spricht mit ihnen über ihre Arbeit mit Bresson, und noch immer staunen sie über ihre Darstellung, die kein Spiel war, die genauen Anweisungen, aber niemals Manipulationen folgte. Der unbedingte Respekt, den sie noch nach Jahrzehnten für den Künstler Bresson zeigen, ist ihren Gesten, Blicken, Bewegungen in „Pickpocket“ schon eingeschrieben. EKKEHARD KNÖRER
Robert Bresson Box („Pickpocket“,„Der Prozess der Jeanne d’Arc“ und„Das Geld“), 59,99 €, Bezug überwww.mk2.com