: Teilen, squatten, sharen
Kollektivismus Die Indonesierin Syafiatudina kuratiert in der ifa Galerie ein Radioprojekt, das sich der Kulturtechnik des Teilens widmet – in ihrer Heimat kennt man diese Praxis als Numpang
von Tom Mustroph
Radiowellen beherrschen die ifa Galerie in der Linienstraße. Das Bild eines Sendeturms mit ausstrahlenden Wellen ist auf der Schaufensterscheibe zu sehen. Ein Aufsteller mit dem gleichen Signet befindet sich auf dem Bürgersteig. In den Galerieräumen selbst ist eine Internetradiostation mit Sendetechnik, Redaktionstisch und Planungstafel an der Wand angebracht. Dreimal wöchentlich sendet die Indonesierin Syafiatudina von hier (Internet: kunci.or.id). Syafiatudina ist Künstlerin, Forscherin und Aktivistin im Kontext von Squatting- und Community-Projekten in ihrem Heimatland. Eine ihrer Sendungen besteht in der Live-Übertragung der Diskussionen, die in der Galerie veranstaltet werden.
Häuser und Land besetzen
Jeden Donnerstag lädt Syafiatudina hier Künstler und Experten ein, die über eigene Praktiken des Sharing berichten. Man spricht über Häuserbesetzen, Landbesetzen und über die gemeinsame Nutzung von Räumen sowie die Vermittlung unterschiedlicher Interessen – dies alles im Rahmen des Programms „Politik des Teilens – Über kollektives Wissen“. Flüchtlinge erzählen, wie sie Willkommensinitiativen erleben. Eine gemischte Gruppe aus Berlin und Utrecht berichtet über ihre Erfahrungen, Spontanlesungen in Privatwohnungen zu organisieren.
Die beiden anderen Radiotage – mittwochs und freitags – will Syafiatudina frei gestalten, geprägt von ihren Eindrücken in der einstigen Besetzerstadt Berlin, die jetzt unter den Auswirkungen kommerzieller Sharingpraktiken wie Airbnb stöhnt. „Ich bin neugierig auf Berlin, welche Praktiken des Teilens es hier gibt“, sagt sie der taz. Auf Urban-Gardening-Projekte ist sie schon gestoßen – und sie ist schwer begeistert davon.
Sie sieht sich als Lernende, Vermittelnde – und will nicht Numpang als beste aller Sharing-Praktiken in Berlin einführen. Numpang, das steht in Indonesien für eine Vielzahl von Austauschformen. „Es kann bedeuten, dass man jemanden in seiner Wohnung aufnimmt. Auch Trampen gehört dazu, und auch, wenn man einfach Dinge übereinanderschichtet“, erzählt sie.
Vom kommerziellen Schichten und Teilen grenzt Syafiatudina sich aber ab. „Numpang bedeutet nicht, dass man ein Verhältnis von Konsument und Dienstleister einnimmt und für eine Leistung Geld entrichtet. Teilen ist ein gegenseitiger Austauschprozess. Wer jemanden im Auto mitnimmt, profitiert doch davon, dass man sich miteinander unterhalten kann“, meint sie.
Numpang-Verhältnisse sind von Vertrauen geprägt. Das kann bereits existentes Vertrauen sein, etwa innerhalb von Familienverbänden oder Freundeskreisen, erklärt Syafiatudina, es kann sich aber auch zwischen bisher einander nicht bekannten Personen aufbauen, etwa zwischen Lehrer und Schüler. „In der dritten Woche unseres Projekts werden wir solche Lehrer-Schüler-Dynamiken im Kontext von Musik untersuchen“, meint sie.
Dass sie Teilen zum Thema künstlerischer Arbeiten macht, hat mit den emotionalen Komponenten beider Felder zu tun. „Teilen bedeutet ja nicht nur rationaler Austausch von Dingen. Wenn man etwas gibt, dann kommt es doch auch von Herzen. Es bedeutet Solidarität. Und auch Kunst spricht nicht nur den Kopf an, sondern erzeugt Emotionen“, meint sie. Zugleich will sie die „Blase Kunst“ sprengen. „Wir können Kunst nicht mehr betreiben wie noch vor 50 Jahren. Wir müssen auf die Probleme des Alltags reagieren. Und wir können Kunst nicht mehr nur in dem kleinen Rahmen derjenigen betreiben, die sich gewöhnlich für Kunst interessieren. Wir müssen das Spektrum erweitern“, meint sie.
Auch der Methusalem sharet
Der Open Space in der ifa Galerie mit dem angeschlossenen Radioprojekt ist ein solcher Versuch. Es zeigt zugleich, dass Sharing-Praktiken mittlerweile bei den größeren Kulturinstitutionen angekommen sind. Sogar der Methusalem kommunaler Wissensteilhabepraktiken erneuert sich gerade: Im Lesesaal der Amerika Gedenkbibliothek ist seit Kurzem ein „Themenraum Shareconomy“ eingerichtet. Lötkolben und Werkzeugkasten und auch Literatur zu Open Source liegen da zum Ausleihen bereit. Sharing muss eben nicht nur Airbnb, DriveNow und Uber bedeuten.
ifa Galerie, Linienstr. 139/40, bis 14. 5., Di.–So. 14–18 Uhr
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