: Am Ende wird alles nur noch schlimmer
US-INDIES Das American Independent Filmfestival „Unknown Pleasures“ zeigt Produktionen fernab der großen Studios und vor allem eines: Realismus
VON JENNI ZYLKA
Abe ist Mitte 30, hüllt den voluminösen Leib in Baseballtrikots, sammelt Superheldenspielzeug und wohnt noch bei seinen Eltern. Wenn er abends das Auto geparkt hat und den Weg zum Einfamilienhäuschen hinaufstapft, schließt er seinen aufgemotzten SUV mit einer wütenden Schwenkbewegung der Fernbedienung ab. Ansonsten versucht er, es allen recht zu machen, und negiert die Ablehnung seiner Umgebung mit fassungslos machender Sturheit. Er ist ein Big Time Loser, könnte man sagen: Er hat keine Frau und findet auch keine, obwohl es in Todd Solondz’ 2011 fertig gestellten Film „Dark Horse“ um die kurzzeitige Fast-Beziehung Abes mit der depressiven Miranda geht, der er letztlich genauso egal ist wie seinen Eltern. Abes Vater, gespielt von einem bis an die Schmerzgrenze desillusioniert guckenden Christopher Walken, wirft ihn demzufolge aus der Firma, Mia Farrow gibt die immer wieder naiv-absichtlich über die Gefühle ihres Sohnes trampelnde Mutter mit ihrem sorgenvollsten Gesicht.
Und am Ende wird alles nur noch schlimmer. Todd Solondz, der mit „Welcome to the dollhouse“ 1995 ein für alle Mal sein Thema der gescheiterten amerikanischen Gesellschaft zementiert hatte, ist ein Meister im Vermeiden von Glück. Das ist bestimmt nicht das Hauptkriterium, das die Beiträge des diesjährigen, fünften American Independent Filmfestival „Unknown Pleausures“ verbindet. Aber es gibt einen ziemlich guten Hinweis darauf, worin sich die „US Indies“ – abgesehen von der mehr oder weniger sichtbar unabhängigen Produktion fernab des großen Gelds und der großen Studios – verbindet: Man will Realismus zeigen. Der darf skurril sein, lustig oder hochglänzend. Aber die Indies wehren sich gegen den amerikanischen Traum, der das Publikum ohne Happy Endings nicht nach Hause lässt.
„The Color Wheel“ von Alex Ross Perry ist ein weiteres Beispiel für die dysfunktionale Familie: Perry selbst und die ehemalige Stand-up-Comedian Caren Altman spielen in dem grobkörnigen, schwarz-weißen Roadmovie ein Geschwisterpaar voller Selbst- und gegenseitigem Hass, das sich auf den Weg macht, um die Habseligkeiten der Schwester aus dem Haus einer gescheiterten Beziehung abzuholen. Sie streiten, beleidigen und verachten sich so, wie es nur Menschen können, die sich in- und auswendig kennen. Schließlich beginnt die Katharsis mit einer Party ehemaliger Schulkameraden, auf denen die beiden landen. Dort entdecken sie, dass es Schlimmeres als Verwandte gibt: angebliche Bekannte. Perry hat seinen Film als scharfzüngiges Dialogmonster inszeniert. Und hebt sich dadurch vom so genannten „Mumblecore“ ab, zu dem sich viele Indies bekennen, und wo ebenfalls in Dialogen erzählt wird, allerdings oft in ermüdend sinnfreien: Das Gequatsche mitteilungsbedürftiger Menschen nervt eben gemeinhin.
Michel Gondry, der musikalischste aller Independent-Regisseure, baut jedoch aus dieser nie endenden Kommunikation seinen Film „The We and the I“, der das Festival eröffnet: Ein Bus voller Teenager fährt an ihrem letzten Schultag in die Bronx New Yorks. Drinnen werden harmlose, fiese und menschenverachtende Streiche gespielt, „Bullies“ und Schüchterne prallen aufeinander, Smartphones sind im Dauereinsatz, und vorn thront die massige Busfahrerin, die sich von keinem die Butter vom Brot nehmen lassen kann. Wie einen Rapsong mit Strophen und Refrains hat der „Science of Sleep“- und „Vergiss mein nicht“-Regisseur seine Alltagsbeobachtung komponiert. Seine grandios talentierten LaiendarstellerInnen, die er bei einem Workshop kennenlernte, springen dabei enthusiastisch auf.
Doch schnieker geht’s immer: Eine Retrospektive des Preppy-Regisseurs Whit Stillman, die auch sein – nach 13 Jahren Pause – erstes Projekt „Damsels in Distress“ (2011) beinhaltet, zeigt elegant und hinterlistig die Brüche der Nachwuchs-PatriotInnen. Auf den Fersen der schönen, reichen, energetischen und selbstsüchtigen Studentin Violet malt Stillman einen Campusalltag voller Attitüde, Hochnäsigkeit und Lügen. Drei weitere Filme des persönlich anwesenden Regisseurs werden beim Festival zu sehen sein. Neben Essays wie Thom Andersens formalistisch-informativer Annäherung an den portugiesischen Meisterarchitekten Souto Moura gibt es noch tatsächlich brisant Außenpolitisches: Noch vor dem deutschen Kinostart zeigt „UP 5“ Kathryn Bigelows neuesten Thriller „Zero Dark Thirty“ über die Jagd nach Osama bin Laden. Oscarpreisträgerin Bigelow hat den Film selbst produziert. Durch seine realistische Darstellung der Folterszenen hat er in den USA bereits so viele Kontroversen verursacht, wie es sich ein Film nur wünschen kann. Erst recht, wenn er unabhängig bleiben möchte.
■ Unknown Pleasures, bis 16. 1. im Babylon Mitte, Programm unter: www.unknownpleasures.de