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Mit Achtsamkeit und Airbag

Risiko Die Unfallstatistik gibt nach wie vor keinen Anlass zur Entwarnung. Dabei gibt es sehr viele Möglichkeiten, schwache Verkehrsteilnehmer besser zu schützen

Wichtig vor dem Rechtsabbiegen: Schulterblick Foto: Chromorange

von Lars Klaaßen

Jeden Tag stirbt ein Radfahrer in Deutschland und jede Stunde werden neun Radfahrer verletzt. In absoluten Zahlen sieht das so aus: Im Jahr 2014 wurden 396 Radler im Verkehr getötet, 77.900 verletzt. Die Zahl der tödlichen Fahrradunfälle nimmt zwar im langfristigen Trend leicht ab. „Es wäre aber falsch, das als großen Erfolg für die Verkehrssicherheit zu feiern, denn dieser Effekt ist zu einem guten Teil dem medizinischen Fortschritt zu verdanken“, wendet Stephanie Krone ein. Die Sprecherin des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) erläutert: „Ein schwerer Radunfall, der vor 10 oder 20 Jahren womöglich tödlich verlaufen wäre, läuft in der Statistik heute unter Umständen unter den Schwerstverletzten.“ Die Zahl der verletzten Radfahrer schwankt zwar von Jahr zu Jahr nach Witterungslage, geht aber langfristig nicht zurück.

In zwei Dritteln der Fälle ist der Unfallgegner ein Pkw. Bei diesen Kollisionen ist zu 75 Prozent der Autofahrer Hauptverursacher. Die häufigste Ursache von Fahrradunfällen mit Kraftfahrzeugen sind Fehler beim Abbiegen. Danach folgen: Missachtung der Vorfahrt von Radfahrern, Einfahren in den fließenden Verkehr, zu enges Überholen durch Auto- und Lkw-Fahrer sowie fahrlässiges Öffnen der Autotür. Die häufigsten Fehler von Radlern, die einen Unfall verursachen: Sie fahren gegen die Fahrtrichtung oder auf dem Gehweg. Auch mangelnde Infrastruktur gefährdet Fahrradfahrer. Hindernisse auf dem Radweg – zum Beispiel Aufbrüche, Schlaglöcher, Falschparker, Baustellen oder Poller – zwingen zu einem Wechsel auf die Straße, wo es schnell zur Kollision mit Autos kommen kann.

„Noch immer sterben im Straßenverkehr viel zu viele Radfahrer oder werden schwer verletzt. Die wesentlichen Gründe hierfür sind schlechte Radwege, auf Autos ausgerichtete Verkehrsregeln und zu hohes Tempo von Pkw. Hier muss die Politik ansetzen“, sagt Matthias Gastel, Mitglied der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag und im Ausschuss für Verkehr. Seine Empfehlung lautet: Breite, gut geführte Radwegverbindungen, fahrradfreundliche Verkehrsregeln und mehr Tempo 30 in Städten würden die Sicherheit von Radfahrenden erhöhen. „Die Bundesregierung darf sich nicht länger aus der Verantwortung stehlen, denn sie ist für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs zuständig. Erst wenn sich auch Kinder und ältere Menschen auf ihren Fahrrädern sicher fühlen, ist wirklich etwas erreicht.“

In einem mehr als zweijährigen Forschungsprojekt hat die Unfallforschung der Versicherer (UDV) detailliert untersucht, wie Radfahrer/Pkw-Unfälle ablaufen, wo die Unterschiede zwischen Unfällen mit Radfahrern und denen mit Fußgängern liegen und ob die passiven Maßnahmen am Pkw, die für den Fußgängerschutz entwickelt wurden (aufstellende Haube oder ein Windschutzscheiben-Airbag), auch dem Radfahrer ausreichenden Schutz bieten. Die Forschungsergebnisse zeigen, dass Radfahrer „kaum von den konstruktiven Verbesserungen am Pkw zum Schutz von Fußgängern profitieren“. Im Bereich der passiven Maßnahmen könnte theoretisch ein spezieller Airbag, der den gesamten Scheibenrahmen abdeckt, auch für Radfahrer einen deutlichen Sicherheitsgewinn bringen. Entsprechende Schutzsysteme für Radfahrer werden jedoch aktuell von keinem Fahrzeughersteller angeboten. Die Simulationen der UDV machten deutlich, dass eine automatische Notbremse den größten Sicherheitsgewinn bringen würde, vorausgesetzt der Fahrradfahrer wird zuverlässig unter allen Umgebungsbedingungen erkannt und die Geschwindigkeit wird signifikant (um rund 20 km/h) reduziert.

Neben solch einer Fußgänger- und Radfahrererkennung mit automatischer Notbremsung fordert der ADFC einen Abbiegeassistenten für Lkw, den Außenairbag (Windschutzscheiben-Airbag) sowie die Türöffnerwarnung für Fahrer und Beifahrer. Diese Systeme sind bereits erhältlich oder stehen wie der Lkw-Abbiegeassistent kurz vor der Markteinführung. Auch bei der Infrastruktur sieht der ADFC Handlungsbedarf. Der Verein plädiert für breitere Radwege, auf denen Überholvorgänge möglich sind. Und die „Dooring Zone“, ein Abstand von mindestens 80 cm zwischen Radspur und Parkstreifen, böte größere Sicherheit. Außerdem im Forderungskatalog: mehr Fahrradstraßen, durchgängige Radwegenetze, eine bessere Instandhaltung der Radwege und -spuren sowie sichere Kreuzungen mit Sichtbeziehung zwischen Auto und Rad. „Wenn keine ausreichend sichere Radinfrastruktur zu ermöglichen ist“, so Krone, „sollte Tempo 30 Standard sein.“

Die Einführung eines Helmgesetzes für Fahrradfahrer sieht Krone kritisch: „Das hätte einen Rückgang der Radnutzung zur Folge, was durch die Positiveffekte nicht aufgefangen würde.“ Unzweifelhaft sei, dass Helme das Risiko schwerer Kopfverletzungen verringern könnten, aber sie verhinderten keine Unfälle und böten keinen umfassenden Schutz. Neben Technik und Infrastruktur prägt auch das Verhalten der Verkehrsteilnehmer die Sicherheit. Kampagnen zu Schulterblick, Über­hol­abstand sowie zur Regelakzeptanz aller können auch wirken.

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