: Die Seafood-Sklaven aus Myanmar
Ausbeutung Restaurants und Supermärkte in Europa und den USA bieten viel Fisch und Meeresfrüchte aus dem Pazifik an. Gefangen wird ein großer Teil davon von Menschen, die unter sklavenähnlichen Bedingungen leben und arbeiten
von Margie Mason,Martha Mendoza undEsther Htusan
Hier im Dorf Benjina, in der Umgebung und auf dem Meer in der Region werden Hunderte Männer gefangen gehalten. Sie sind die Zeugen der unsäglichen Verbindung zwischen Firmen und Ländern in der Seafood-Industrie. Viele der Gefangenen, mit denen die Agentur Associated Press (AP) sprach, stammen aus Myanmar, einem der ärmsten Länder der Welt. Sie wurden über Thailand nach Indonesien gebracht. Der Fisch, den sie fangen, wird nach Thailand zurückgebracht und kommt so auf den Weltmarkt. Ein Jahr lang hat die AP recherchiert, mehr als 40 gegenwärtige und ehemalige Sklaven befragt und den Weg des von ihnen gefangenen Fisches verfolgt.
Einige der Fischer riskierten ihr Leben, baten die Reporter um Hilfe. „Ich will nach Hause. Wir wollen das alle“, rief einer von ihnen von einem der Boote – und seine Mitgefangenen wiederholten den Ruf. „Unsere Eltern haben seit Langem nichts von uns gehört. Ich bin sicher, dass sie uns für tot halten.“
Die großen Unternehmen, die von der AP in den USA identifiziert wurden, lehnten Interviews ab. In schriftlichen Erklärungen verurteilten sie jedoch Verstöße gegen das Arbeitsrecht. Sie gaben an, mit Menschenrechtsorganisationen zusammenzuarbeiten. Für die Verstöße seien Subunternehmer verantwortlich.
Hlaing Min, ein geflohener Sklave
Die Sklaven berichten von Schichten zwischen 20 und 22 Stunden. Sie müssten schmutziges Wasser trinken, würden getreten, geschlagen oder mit den Schwänzen von giftigen Rochen malträtiert, wenn sie sich beschweren oder mal eine Pause einlegen. Bezahlt wird wenig bis nichts.
Der geflohene Hlaing Min berichtet von vielen Toten auf See. „Wenn die Amerikaner und Europäer diesen Fisch essen, sollen sie an uns denken“, sagt er. „Es muss einen Berg von Knochen unter der Meeresoberfläche geben. Es sind so viele Menschenknochen, dass sie eine Insel ergeben würden.“
Im kleinen Hafen von Benjina hat die Firma Pusaka Benjina Resources das Sagen. Auf dem Gelände mit dem fünfstöckigen Bürohaus steht auch der Käfig mit den Sklaven. Mehr als 90 Fischtrawler sind für das Unternehmen im Einsatz. Interviews gibt es keine.
In Benjina wird der Fang auf ein großes Kühlschiff verladen, das der Firma Silver Sea Reefer gehört. Dort will man nichts mit den versklavten Fischern zu tun haben. „Wir führen nur die Lieferungen aus, für die wir von unseren Kunden gemietet werden“, sagte Firmenchef Panya Luangsomboon.
Was? Der Pulitzer-Preis gilt als bedeutendster Journalismus-Preis der Welt. Dabei werden nicht nur journalistische, sondern auch künstlerische Arbeiten in den insgesamt 21 Sparten ausgezeichnet. Die Vergabe jährte sich 2016 zum 100. Mal.
Wer? Neben AP gewann unter anderem die Los Angeles Times in der Sparte „aktuelle Nachrichten“ für ihre Berichterstattung über den Angriff auf eine Sozialeinrichtung im kalifornischen San Bernardino, die New York Times wurde für eine Reportage über Gewalt gegen afghanische Frauen ausgezeichnet. (epd, dpa)
Die AP verfolgte das Schiff via Satellitenortung über 15 Tage. Sein Ziel war Samut Sakhon in Thailand. Dort wurde die Ware in vier Nächten auf mehr als 150 Lastwagen verladen und in Fabriken in der Umgebung gebracht. Von dort ging das Seafood an andere Unternehmen in Thailand und von dort unter anderem an große amerikanische Firmen, wie aus US-Zollunterlagen hervorgeht. Die Geschäftsbeziehungen wurden zumindest zum Teil auf thailändischer Seite bestätigt. Zu Fragen über die Arbeitsbedingungen wollte man sich nicht äußeren.
Auch die Thai Union Manufacturing, ein Subunternehmen der größten thailändischen Seafood-Firma Thai Union Frozen Products, handelte mit Sklavenfisch. „Wir müssen alle eingestehen, dass es schwierig sicherzustellen ist, dass die Lieferkette in der thailändischen Fischindustrie zu 100 Prozent sauber ist“, erklärte Thai-Union-Chef Thiraphong Chansiri in einer E-Mail.
Nach der Veröffentlichung der ersten Erkenntnisse der AP-Recherche schickte das Unternehmen ein weiteres Statement hinterher. Darin hieß es, man habe die Geschäftsbeziehungen zu einem Zulieferer unverzüglich abgebrochen, nachdem man festgestellt habe, dass dieser mit Zwangsarbeit und anderen Verstößen zu tun haben könnte. Welcher Zulieferer das ist, wurde nicht gesagt.
Der Preis: Die AP hat in der Kategorie „Dienst an der Öffentlichkeit“ gewonnen, die als wichtigste Kategorie gilt.
Die Recherche: An dem Projekt arbeiteten die Journalistinnen Margie Mason, Robin McDowell, Martha Mendoza und Esther Htusan 18 Monate lang.
Die Konsequenzen: Die Recherchen führten laut AP neben der Freilassung von über 2.000 versklavten Fischern und anderen Arbeitern zu Razzien und zahlreichen Festnahmen. Die Regierung Indonesiens leitete nach den Berichten strafrechtliche Ermittlungen ein. (ap, epd)
Die versklavten Fischer von Benjina hatten keine Ahnung, wohin ihr Fisch ging. Sie wussten nur, dass er zu wertvoll war, als dass sie ihn essen dürften. Der verwahrloste Friedhof hat mehr als 60 Gräber, viele mit Gras überwuchert. Auf den hölzernen Markierungen sind die Namen der Sklaven und der Boote oft verfälscht. Nur ihre Freunde wissen, wer dort tatsächlich seine letzte Ruhestätte gefunden hat.
Früher hätten die Aufpasser die Leichen einfach ins Meer geworfen und die Haie damit gefüttert, sagt der ehemalige Sklave Hla Phyo. Doch dann hätten die Behörden und Firmen verlangt, dass jedes Besatzungsmitglied erfasst und wieder an Land zurückgebracht werden müsse. Daraufhin hätten die Kapitäne bis zur Rückkehr nach Benjina die Leichen einfach in den Kühlräumen neben dem Fisch gelagert.
„Ich bekomme das Gefühl, dass ich für immer in Indonesien bleiben werde“, sagt Phyo und wischt sich eine Träne aus den Augen. „Ich erinnere mich daran, dass ich mir beim Ausheben eines Grabes dachte, das ist das Einzige, was uns hier erwartet: der Tod.“
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