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Ein katastrophisch-existenzieller Trip

Kino Das Festival FilmPolska widmet seine Retrospektive in diesem Jahr dem grandiosen Werk Jerzy Skolimowskis. Im Programm finden sich außerdem hervorragende Grotesken, Dokus und Omnibusfilme

von Barbara Wurm

Beginnen wir mit zwei Nachrichten, einer guten und einer besseren. Die gute: Es gibt ein Kino jenseits des üblichen (hierzulande arg kargen) Verleihangebots und der unerreichbaren Festivals in Venedig, Cannes & Co. Die bessere: Dieses Kino entsteht in Polen, und weil es im politischen Gefüge des Nachbarlandes gerade gehörig knirscht – besonders in Sachen Kulturpolitik, die sich nach alter Manier vorbehaltlos der Vorbildwirkung Moskaus anzuschließen scheint und so auf Moral, Patriotismus und das „nationale Erbe“ setzt –, bietet das nahe Ausland, also Deutschland, eine geradezu ideale alternative Spielfläche.

Das polnische Kino ist so lebendig und variantenreich wie schon lange nicht. Die elfte Ausgabe von „FilmPolska“ wird das zeigen und zwischen 20. und 27. April ungezählte Kinos und Clubs Berlins (sowie erstmals auch in Frankfurt (Oder)) in Nachdenk- und Feierlaune versetzen.

Den Auftakt macht dabei eines der vielen Enfants terribles unter den heutigen Altmeistern der einst Neuen Wellen des polnischen Kinos, die später das Weite gesucht haben und zwischen Paris und Hollywood ansässig wurden – nur er kehrte zurück: Jerzy Skolimowski, vielleicht ohnehin der Exzentrischste von allen. Nach Berlin nimmt der fast 78-Jährige jedenfalls Schäferhund Bufon als Begleitung mit in die Adlon-Suite.

Die Retrospektive im Zeughauskino ist dem als Boxer in die Filmgeschichte eingegangenen Łódź-Absolventen Skolimowski gewidmet. Als Boxer ist er in die Filmgeschichte eingegangen, zu sehen im eigenen Irrsinnswerk „Walkover“ (1965). Einen weiteren Auftritt hat der Regisseur in der jazzigen Nachkriegswarschau-Hommage „Die unschuldigen Zauberer“ (1960) seines Compagnons Andrzej Wajda. Skolimowskis neuester Faustschlag, „11 Minutes“, ist auch der fulminante Eröffnungsfilm des Festivals.

Nach einer ersten Phase als zentraler, aber eigenwilliger Rebell im polnischen Autorenkino der 1960er – mit dem Novelle-Vague-Exkurs „Le départ“ als Höhepunkt (Jean-Pierre Léaud und Porsche inklusive) – und einer zweiten Phase als unangepasster New-Wave-Genrefilmer der internationalen britischen Seventies geriet Skolimowskis Karriere ausgerechnet in Los Angeles ins Stocken. Danach widmete er sich fast 20 Jahre lang dem Malen. Erst 2008 feierte er mit „Four Nights with Anna“ sein Comeback als Regisseur.

Zwei Jahre später schockte Vincent Gallo in „Essential Killing“ als von US-Soldaten gejagter und gefolterter Muslim, einem Film, der wie kein anderer politisches Weltgeschehen in der Existenz eines Einzelnen reflektiert und offen von Anti-Terror-Aktionen der CIA in den Masuren erzählt. In den „11 Minutes“, die sich am 11. 7. 2014 ereignen und das Leben etlicher Warschauer zu einem ebenfalls katastrophisch-existenziellen Trip verdichten, findet eine andere amerikanisch-kontinentale (Zeit-)Verschiebung statt: Immer wieder taucht ein Flugzeug auf, das gefährlich nahe an den Business-Türmen der Ost-Me­tropole vorbeischrammt. Nein, es durchkreuzt nicht einen dieser gläsernen Tempel – und doch kulminiert das Geschehen in einer grandiosen Kettenreaktionsexplosion, die für die hierher Getriebenen und ihre Emotionen das Ende bedeutet.

Atemberaubend ist – womit wir bei der Festival-Sektion „Neues polnisches Kino“ wären – auch jener skurrile, temporeiche und überaus wortverspielte Gefühlsausflug, den ein weiterer Altmeister, der erst kürzlich verstorbene Andrzej Żuławski, in „Cosmos“ seinen aus Witold Gombrowiczs gleichnamigem (und letztem) Roman stammenden Figuren auferlegt. Statt nach Zakopane (wie im Buch) geht der Land-Retreat zweier Jungmänner hier an die Atlantikküste. Statt kafkaesker Klaus­trophobie herrscht französischer Regiewind – eine Prise Rivette (Komplott, Theatralik, Improvisation), etwas Rohmer (Sinn und Sinnlichkeit), vielleicht auch Techiné (emotionale Anmut) und natürlich Resnais (Triebspiele).

Jerzy Skolimowski ist der größte Exzentriker des polnischen Kinos

Im Kulturtransitbereich zwischen Polen und Frankreich hat Żuławski sein Leben verbracht, und es ist mehr als bezeichnend, dass auch seine fast 15 Jahre stillgelegte Regielaufbahn auf so hohem Niveau, im Zwiegespräch mit dem „unantastbaren“ Gombrowicz und mit derartigem Inszenierungsfuror zum Abschluss kommt.

Manch halb so alter Regisseur kann sich von „Cosmos“ was abschneiden. Wie sich hier abgrundtiefe Morbidität und ungebundene Vitalität die Hand geben, wie präzise die Dialoge sind und: wie unvulgär sexuelle und andere „Perversionen“ ins Visier kommen, wird Żuławski so schnell keiner nachmachen. Nicht „United States of Love“, Tomasz Wasilewskis Berlinale-Beitrag, mit seiner wort- und sinnentleerten Kaltkörper-Ausstellungsmanie, nicht der in Polen fast kultisch gefeierte „Sirenengesang“, Agnieszka Smoczyńskas zwischen Fantasy, Horror und Romanze lavierendes Musical-Revue-Spektakel rund um das Meerjungfrauen-Duo Silver & Golden. Nimmt man noch „Nude Area“ hinzu, so entpuppt sich der Nudismus schon fast als polnische Spezialität.

Es sind vor allem zwei Autorenfilme – Grzegorz Królikiewiczs erwartbar störrische Mietshausgroteske „Nachbarn“ und ein auffällig authentischer „Othering“-Omnibusfilm, „Die neue Welt“ –, die aus dem Programm herausragen. Auch „Walser“, das Kinodebüt des Künstlers Zbigniew Libera, beeindruckt. Die filmische Sensation aber findet im Genrekino statt: Marcin Koszałkas 1967 angesiedelter, auf wahren Begebenheiten basierender Krakau-Thriller „Die rote Spinne“ inszeniert atmosphärisch perfekt die Katz-und-Maus-Jagd zwischen dem Privatdetektiv und Schwimmer Karel und einem Serienmörder.

Die bei FilmPolska gezeigten Dokumentarfilme sind allesamt sehenswert: „Brothers“ (zwei Brüder kehren am Ende eines langen Lebens im sibirischen Gulag nach Polen zurück), „Call Me Marianna“ (Wojtek wird wider alle Umstände mit 40 zur Frau) und „Something Better to Come“, Hanna Polaks eindrucksvolle Studie über Obdachlose in unmittelbarer Kreml-Nähe. Gespannt sein darf man auch auf „Karski und die Herrscher des Menschheit“, das Porträt eines wichtigen Holocaust-Zeugen, das FilmPolska in Zusammenarbeit mit der Stiftung Topographie des Terrors präsentiert.

FilmPolska, 20. bis 27. April, an verschiedenen Orten, www.filmpolska.de

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