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Wahn und Wirklichkeit

FESTIVAL Bei „achtung berlin“ gibt es gleich mehrere Filme über Frauen, die irgendwie aus dem Gleichgewicht geraten sind

Lotte (Karin Hanczewski) lässt sich im gleichnamigen Film durch das Berliner Nachleben treiben Foto: Martin Neumeyer

von Carolin Weidner

Ein Berlin-Mythos für einen Berlin-Film. Bei „Luca tanzt leise“ geht er so: Binnen kürzester Zeit verfasst Regisseur Philipp Eichholtz („Liebe mich!“) ein wenige Seiten starkes Drehbuch – in drei Tagen entstehen vierunddreißig Szenen auf sieben Seiten. Damit unterm Arm trifft er Schauspielerin Martina Schöne-Radunski („Kptn Oskar“) an einer U-Bahn-Station. Sie trinken Filterkaffee für einen Euro, Schöne-Radunski liest die Szenen. Und sagt zu. Drei Wochen später beginnt der Dreh. Eichholtz’letzter Film, „Liebe mich!“, ist mit einem Budget von gerade einmal 4.000 Euro ausgekommen. Sehr viel mehr dürfte auch bei „Luca tanzt leise“ nicht zur Verfügung gestanden haben. Und vielleicht war auch hier Programm, was der Titel der gerade gegründeten Produktionsfirma vermuten lässt: von Oma gefördert.

„Luca tanzt leise“ ist im Spielfilmwettbewerb des 12. „achtung berlin“-Festivals zu sehen, das sich zwischen dem 13. und 20. April an verschiedenen Locations bemerkbar machen wird, unter anderem im Babylon Mitte, im Kino International, im Filmtheater am Friedrichshain und im Kino am Bundesplatz. Und mit Eichholtz’Low-Budget-Produktion kommt eine ganze Reihe weiterer Filme auf die Leinwand, deren Zentren von Frauen besiedelt sind, die mehr oder weniger aus dem Alltagstakt geflogen sind.

Ist es in „Luca tanzt leise“ eben diese Luca (Schöne-Radunski), eine Mittzwanzigerin, wohnhaft natürlich in Berlin, die einige Jahren im Unterholz einer Depression zugebracht hat und sich nun aufrafft, das Abitur nachzuholen, entwirft Regisseur Julius Schultheiß im Film „Lotte“ ein anderes Szenario. Lotte (Karin Hanczewski) hat sich über die Jahre ein Alkoholproblem angetrunken, treibt durch Berliner Wohnungen und Kneipen, mit einer mehr oder weniger fixen Stelle in einem Krankenhaus an der Hand. Dann begegnet ihr eines Tages die erheblich jüngere Greta (Zita Aretz). Schultheiß lässt aus ihnen ein Duo erwachsen.

Ähnlich macht es auch Eichholtz in seinem Film, indem er Luca den wiederum sehr viel älteren Kurt (Hans-Heinrich Hardt) zum Sitznachbarn gibt. Gemeinsam pauken sie sich durch Englisch und Mathe, tröstet Kurt Luca auf seine praxisgerechte Art, nachdem diese mit Weißwein und Kokain durch die Nacht gesegelt und schließlich gekentert war.

Auch Playboy Rolf Eden huscht durchs Bild. Noch so ein Berliner Mythos

In Bernadette Knollers „Ferien“ wird ein Vater (Detlev Buck) zu Retter und Dorn, indem er seine Tochter Vivi (Britta Hammelstein) auf eine Insel verschleppt. Hier werden Selbst­optimierung und positives Denken betrieben, offenbar genau das Richtige für eine Jung­anwältin kurz vorm Sprung in die Eigentumswohnung, die unter kalten Füßen – beziehungsweise mysteriösen Heulkrämpfen – leidet.

Ziemlich auf sich zurückgeworfen sind derweil Fabian (Golo Euler) und Doro (Luise Heyer) in „Fado“ von Jonas Rothlaender. Der Jungarzt reist seiner Exfreundin, einer Architektin, nach Lissabon hinterher, nachdem er eine Frau in der Notaufnahme behandeln musste, die Doro auf unheimliche Weise glich. Doch in Portugal lauern die alten Geister, denn Fabian ist krankhaft eifersüchtig. Die verwinkelte, fremde Stadt wird zur Kulisse einer Jagd, das Verhältnis zwischen Wahn und Wirklichkeit kippelt bis zuletzt. Grenzgängerisch.

Ein Gemisch, das auch im Dokufilmwettbewerb auszumachen ist. Arndt Baumüller schafft in „Oh Yeah. Berlin“ Einblicke in die Berliner Subkultur, die er entlang der Pfeiler „Salon zur wilden Renate“, „KaterHolzig“ und „Sisyphos“ nachzeichnet. Orte, bevölkert von der „lebendigen Discokugel“ (Bella Berlin), Tape-Artists und Kollektiven, Uhrenbastlern und Labyrinthkonstrukteuren. „Ben Berlin – Aus diesem Trallala kommst du nicht raus“ von Sobo Swobodnik und Pantea Lachin hingegen schreitet ruhig und beobachtend in das Reich des 86-jährigen Künstlers Ben Wagin. Gingkobäume, Städtebauliches und Kulturpolitisches, das offeriert dieses Trallala. Und immer mal wieder huscht, durchaus überraschend, auch Playboy Rolf Eden durchs Bild. Noch so ein Berliner Mythos.

Das „achtung berlin“-Festival zeigt junges Kino aus der Hauptstadt und findet vom 13. bis zum 20. 4. an verschiedenen Orten statt, unter anderem im Babylon Mitte, im Kino International, im Filmtheater am Friedrichshain und im Kino am Bundesplatz. Infos: achtungberlin.de

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