Förmlichkeit und Intimität: GedrückteHände
Hamburger Soundtrack
von Nils Schuhmacher
Der Händedruck: Vielgeschmäht. Allerdings aus ganz unterschiedlichen Gründen, die – bringt man sie gemeinsam zur Geltung – so sehr an dieser Geste zerren, dass die Hände den dazugehörigen Körpern vielleicht sogar ausgerissen werden. Den einen ist die Sache jedenfalls zu förmlich, sie wittern Distanz. Den anderen hingegen zu intim. Sie vermuten, dass es sich hier um eine Vorform des Händchenhaltens halten könnte. Und eine letzte Gruppe hat einfach nur schlechte Erfahrungen mit dem Zählwert des Händedrucks gemacht. Gerade in Hamburg ist er ja sehr aufgeladen und rangiert im Ansehen noch vor dem schriftlichen Vertrag.
Und man kann sich lebhaft vorstellen, wie sich Rocko Schamoni und Wolf Richter vor vielen Jahren super intim die Hände reichten, um ihre Pudel-Gemeinschaft zu besiegeln. Wohin das führte, ist bekannt. Streit kam auf. Im Ergebnis ist Richter jetzt eine stadtbekannte Unperson und die andere Fraktion baut mit Hilfe helfender Hände, wie der Park Fiction-Initiative, einen Mini-Pudel-Club neben der Ruine auf.
Zu vergessen ist auch nicht, dass der Händedruck den Weg für die Ausbreitung von Erkältungsviren ebnet. Küssen hingegen soll vor Erkältungen schützen, heißt es. Da soll sich einer auskennen. Und wenn das jemand ist, dann das Popduo Stereo Total (19. 4., Uebel & Gefahrlich). Tiefer verankert als Förmlichkeit und scheue Annäherung sind im Genpool der Band nämlich das direkte Wort, der Witz, die erotisch aufgeladene Feier der anarchischen Unanständigkeit, der Schweiß der kommenden Nacht: dass man geküsst werden will, wo es vorher noch nie geschah. Wenn schon kein Weg für die Konfliktparteien, dann vielleicht für ein paar andere.
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