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„Oh Unglücksfigur“

Oper „Maria Stuarda“ feiert mit wundervollen Gänsehautmomen-ten und einem bedauerlich chancenlosen Zweikampf Premiere

von Benno Schirrmeister

Keine Ahnung, warum sich die erkrankte Patricia Andress entschieden hat, vergangenen Samstag die Bremer Premiere von Gaetano Donizettis Oper „Maria Stuarda“ zu singen. Wäre aber interessant. Denn manchmal kann es absolut sinnvoll sein, eine Premiere nicht zu verschieben, obwohl es für alle Beteiligten besser und ästhetisch geboten schiene.

Dass zum Beispiel am 30. Dezember 1835 Gaetano Donizettis Oper „Maria Stuarda“ an der Scala ihre Uraufführung erlebte, lag daran, dass die Hauptdarstellerin zwar ebenso wie ihre Antagonistin infolge einer Infektion völlig stimmlos war, aber mindestens für die eine, Maria Malibran, die Diva ihrer Zeit, andernfalls eine saftige Vertragsstrafe fällig geworden wäre. „Madama Malibran“, so berichtet der Komponist seinem Schulfreund Antonio Dolci am 3. Januar 1836 von der von vorn bis hinten durchlittenen Premiere, „hätte 3.000 f verloren, wenn sie an jenem Abend nicht gesungen hätte“. Und 3.000 Gulden, damals rund der zehnfache Jahresverdienst eines Manufakturarbeiters, scheinen ein stichhaltiger Grund.

Dass die Oper damals nach der sechsten Vorstellung verboten wurde, hatte damit jedenfalls nichts zu tun, und noch weniger mit den politisch-philosophischen Implikationen der Vorlage. Friedrich von Schiller hatte die Geschichte der beiden Cousinen 1799 als pessimistisches Geschichtsdrama verfasst: Nachdem ihr zweiter Mann, der Herrscher von Schottland, ihr zum Gefallen gekillt worden ist, hat sich die unglückliche Terroristin Mary, Ex-Königin von Frankreich, ins englische Asyl geflüchtet, wo sie von Queen Elisabeth I. inhaftiert und schließlich hingerichtet wird.

Die Präsenz der Katholikin Mary muss die voreheliche Tochter von Henry VIII. und Anne Boleyn als Angriff auf ihren Herrschaftsanspruch begreifen. Der von der Terreur frustrierte Ex-Revolutionär Schiller hatte damit ein Bild von Politik als einem Feld entworfen, aus dem sich Wahrheit, Gutes und Schönes zurückgezogen haben – in die Kunst als ihr letztes Reservat. Solche Probleme sind dem Librettisten Giuseppe Bardari und dem Komponisten indes herzlich egal. Sie interessieren sich für Spannung, nicht für Politik. Fünf Sechstel der Figuren streichen sie, das welthistorische Panorama, und untersuchen verborgene psychologische Motive, die in der Konfrontation der Heroinen zutage treten, die beide um Hyojong Kim rivalisieren: verständlich.

Niemand kann derzeit schöner singen in Bremen als der Tenor, der Roberto, Graf von Leicester, darstellt. Er schmilzt dahin, in der Kavatine, in der ihm das Bild und der Brief der Gefangenen überreicht werden und er seine Liebe zu Maria gesteht, wohl ausgeformt jeder Ton, spannungsreich in der Dynamik vom zärtlichsten Piano zum schicksalhaften Fortissimo, ein Gänsehautmoment.

Kompositorisch dramaturgisch ist dagegen die scheiternde Aussprache der zwei Königinnen der Höhepunkt. Und die bekommt in Donizettis tänzelnder Musik und unter dem flotten Dirigat von Olof Bormann etwas lustvoll Drängendes, das die Auseinandersetzung immer wieder an den Rand des physischen Zweikampfs bringt. Wohl auch deshalb war dann bei den Aufführungen statt der von der Zensur bereinigten Fassung doch wieder das ursprüngliche Textbuch verwendet worden, in dem Maria die englische Königin Elisabetta schließlich als „Figlia impura di Bolena“ als „Meretrice indegna oscena“ und schließlich gar als „Vil Bastarda“ beschimpft. Also total wüst.

Königin Elisabeths gesanglichenTriumph über ihre Rivalin hätte die Regie wohl eigentlich vermeiden wollen

Auch wie Andress in Bremen am Premierenabend die Titelpartie durchsteht, hat mehr mit Sport zu tun als mit Kunst. Das eigenwillige performative Moment, das ihr Kraftakt dieser Aufführung verleiht – er lässt Spätfolgen für die Stimme befürchten und weckt Mitleid mit der Sängerin, statt mit Maria – ist definitiv nicht Teil des Regiekonzepts von Anna-Sophia Mahler. Im Gegenteil. Ähnlich wie schon Anne Sophie Domenz bezaubernde Inszenierung des Schiller-Dramas, die ab Ende April wieder im Spielplan steht, nur ungleich platter, hebt Mahler stark auf die wechselseitige Spiegelung von Täterin und Opfer ineinander ab. Dass beide Stücke gleichzeitig laufen, wirkt, als wäre die Absprache zwischen den Sparten des Bremer Theaters zuletzt zum Erliegen gekommen, aber vielleicht trügt der Eindruck auch.

Mahler lässt die ganze Oper, plausibel, im Besuchs- und Verhörraum einer von Duri Bischoff entworfenen sanierungsbedürftigen Haftanstalt durchführen: Der hervorragend einstudierte Chor ist mausgrau uniformiertes Personal, das Anstaltsleiterin Elisabeth knicksend Plastikblumen überreicht. Die Rückwände der Bühne sind mit großen Teilerspiegel-Fenstern versehen. Die haben Jalousien mit Fernbedienung, und wenn Elisabetta auftritt, ist es möglich, Maria dadurch zu beobachten, und vice versa: Elisabetta ist wie Maria, die Königin wie die Königin, und unter der Bedingung getauschter Rollen wäre sie mit der Rivalin kaum anders verfahren, als diese mit ihr.

In einer Belcanto-Oper kann das aber nur funktionieren, wenn beide Sängerinnen gleich stark, ihre Stimmen ähnlich und einander ebenbürtig sind: Stattdessen wirkt Andress von der Musik eigentlich dementierte Beteuerung, sie sei für Thron und Leben gestorben, aufrichtig. Und Theresa Kronthalers voluminöser Mezzo wischt die Gegnerin einfach von der Bühne, wie eine Verschmutzung: „Va lo chiedi oh sciagurata“, „geh’und befrag’, oh Unglücksfigur“, spottet Elisabeth über ihre hilflose Widersacherin, befrage mal dein besudeltes Brautbett. Ein Triumph: Den hätte die Regie wohl eigentlich vermeiden wollen. Denn der gehört der Titelfigur, die im Leben untergeht. Aber gut anhören lässt er sich trotzdem.

Nächste Termine: 10. 4., 15.30 Uhr, 17. 4., 18 Uhr, 29. 4., 19.30 Uhr, Theater am Goetheplatz

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