Kritik der Woche: Jan-Paul Koopmann über Sibylle Springers „hell“ in der Galerie K‘: Schmerzhaft im besten Sinn
Wenn Sibylle Springer ein barockes Bild großzügig mit Acryl übermalt, dann kann man es im Anschluss meist besser erkennen als zuvor. Weil man die Gewohnheit ablegen und suchen muss. Und weil man – vielleicht zum ersten Mal – wirklich hinsehen muss. Dann erkennt man im abstrakten Muster der Übermalung ein schmerzverzerrtes Gesicht, einen Dorn, der in den Körper eindringt und jemanden, der das arme Schwein festhält, das da gequält wird. Gaspare Traversis Operationsbild ist heute ein historisches, auf verschrobene Weise fast uriges Gemälde. Doch in Springers Bearbeitung kommt das Ungeheuerliche wieder zum Vorschein, das es auch heute noch bedeutet, wenn einem jemand mit einem spitzen Gegenstand im Wanst herumpult.
Mit übermalten Schinken ist Springer nicht zum ersten Mal in der Galerie K’zu sehen. Ende 2014 war „Das Vergnügen“ – düsterer zwar, technisch aber durchaus ähnlich. Wer nun aber glaubt, es sei eine Masche draus geworden, der liegt falsch. Ganz im Gegenteil hat Springer den alten Gedanken konsequent weiterentwickelt. Die Arbeiten aus diesen Jahren sind komplexer und mutiger – gerade weil sie den klassischen Vorlagen mehr Raum lassen. Statt drohend schwarzen Oberflächen, die dem Betrachter selbst fast schon gewaltsam entgegen treten, sind da heute klar strukturierte Farbräume.
„Schmerz, Brokat“, heißt das Operationsbild – und an den schweren Stoff erinnert auch das Muster. Die Gewalt liegt nicht länger als zu bergender Skandal unter der Oberfläche, sondern ist gut erkennbar im Zierrat aufgehoben. Und dazu muss man sich verhalten. In der Operation eben zur Qual zum Besten des Opfers – bis heute Alltag in jeder Klinik.
Oder im Privaten: Aus Bouchers „Leda und der Schwan“ hat Springer die Spannung zwischen Lust und Gewalt unter dem mythologischen Ballast geborgen. Die Vorlage ist auf den ersten Blick zu erkennen. Der Hals des Schwans zwischen den gespreizten Beinen der Frau greift die Verletzung von Körpergrenzen auf. Zum Lustgewinn vielleicht, aber kaum darauf zu beschränken. Zwei rötliche Flecken auf dem Bild, die an Blüten oder Wunden im Material erinnern, prägen den Gesamteindruck, während sie ihn zugleich verhindern. Das ist im besten Sinne unbefriedigend.
Bis zum 8. Mai, Galerie K‘
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