„Fritz Haarmann gehört niemandem“

Hackebeil Der Autor Nis-Momme Stockmann hat für das Schauspiel Hannover ein Haarmann-Musical geschrieben. Den Umgang mit dem Mörder findet er absurd und befremdlich

Nis-Momme Stockmann

Foto: privat/dpa

34, Autor und Theaterregisseur, lernte Koch und studierte Szenisches Schreiben an der Universität der Künste Berlin. Sein Debütroman „Der Fuchs“ war jetzt für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert

Interview Kornelius Friz

taz: Herr Stockmann, das Haarmann-Musical in Hannover war schon lange vor der Premiere Stadtgespräch. War dieser Aufruhr von Anfang an als Marketing kalkuliert?

Nis-Momme Stockmann: Nein, von meiner Warte aus nicht. Das gesamte Projekt war ja von vornherein als Spitze angelegt, die sich im Stück aber nicht einlöst, weil es sich mit etwas ganz anderem auseinandersetzt. Das ist schon die erste Pointe des Abends.

Welche Rolle spielt Haarmann für den öffentlichen Psychohaushalt der Landeshauptstadt?

Offenbar ist er immer noch jemand, der den Blutdruck in der Stadt steigert.

Können Sie die Aufregung in der Hannoveraner Presse und Lokalpolitik nachvollziehen?

Ehrlich gesagt: Nein. Fritz Haarmann gehört ja niemandem. Die Stadt macht eine ziemlich schlechte Figur in der Aufarbeitung des Falls. Wenn ein Künstler oder Journalist sich entscheidet, sich mit der Sache auseinanderzusetzen, dann kann er das tun – auch mit den Mitteln, die er für adäquat hält. Und natürlich ist es dann auch das gute Recht des Publikums und der Presse, davon zu halten, was es will.

So sehr, wie sich die Hannoveraner an ihren Serienmörder klammern, liegt der Eindruck, nahe, dass diese legendenhafte Erzählung ihnen auch als identitätsstiftendes Moment dient.

Ein bisschen vielleicht, aber ich denke eher, dass man nicht mit ihm assoziiert werden möchte. Natürlich ist Hannover mehr als Fritz Haarmann. Trotzdem muss die Stadt sich nicht so verkrampfen. Da kann man sich doch auch mal locker machen. Schließlich hat jede Stadt ihren Mörder …

Was interessiert Sie als Nicht-Hannoveraner an der Figur Haarmann?

Dass er kein reiner Triebtäter ist. Statt Haarmann ein weiteres Mal als Monster auszugrenzen, war es für mich spannender herauszuarbeiten, welche gemeinsame Schnittmenge es zwischen Haarmann und uns gibt. Und im Postkapitalismus sind wir auch Profiteure von vielen schrecklichen Dingen, die passieren. Ähnlich wie Haarmanns Umfeld arbeiten wir daran, diese Schuld zu nivellieren. Genauso wie die Leute damals lieber nicht genauer nachgesehen und stattdessen geschwiegen haben. Das ist die große Parallele zu unserem postmodernen Dasein.

Sie verstehen Ihr Stück also auch als Aufarbeitung der Geschichte?

Nein. Ich glaube aber, dass es der Stadt gut täte, wenn sie sich mit dem Fall auch als Justizskandal auseinandersetzen würde. Mir ist unverständlich, warum das Thema nicht in die Hand genommen werden darf. Zwanzig Jahre nach der Mordserie kamen die Nationalsozialisten, die sechs Millionen Tote verursacht haben. Und über Haarmann kann man nicht sprechen? Das ist absurd!

Hatten Sie im Nachhinein oder im Arbeitsprozess Kontakt mit Angehörigen von Opfern?

Ich glaube, es gab einen Angehörigen, der sich beim Schauspiel Hannover beschwert hat, der macht das aber immer und grundsätzlich. Mir ging es aber nicht darum, den Haarmann zu beschreiben, ich wollte vielmehr zeigen, wie wir in unserer Kultur über bestimmte Dinge sprechen und welcher Kulturtechniken wir uns bedienen, um uns über sie auszutauschen. Und das an einem Beispiel, das für die Stadt greifbar ist.

Fritz Haarmann ermordete nach dem ersten Weltkrieg in Hannover 27 Jungen und junge Männer, indem er ihnen die Kehle durchbiss.

Die Leichen zerlegte er mit einem Beil, drehte das Fleisch durch den Wolf und verkaufte es.

Als Kleinkrimineller und Polizeispitzel pflegte Haarmann homosexuelle Kontakte zu Straßenjungen

Schwere Hirnschäden Haarmanns wurden im Prozess ausgeklammert. Er wurde enthauptet.

Ebenso wie Sie war auch Heinz Strunk mit seinem Buch „Der goldene Handschuh“ für den Belletristik-Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Darin arbeitet er sich an dem Hamburger Serienmörder Honka ab. Was macht diese historischen Mordserien für die Kunst so interessant?

Diese Skandale erzählen immer auch etwas über die Gesellschaft, in der das passiert ist. Strunk erzählt, wie nahe der gesellschaftliche Verfall und der Reichtum beisammen sind, gerade weil diese Menschen sich so ähnlich sind. Das macht diese Geschichte letztlich zu einer Parabel.

Das Haarmann-Musical ist am Ende ein selbstreflexives Werk über die Arbeit im Theaterbetrieb geworden. Sind Sie am Schreiben über die Figur Haarmann oder am öffentlichen Druck gescheitert?

Ich bin an der ursprünglichen Idee gescheitert, ein Musical über Haarmann zu machen. Und dann habe ich das Musical über das Scheitern an dem Musical über Fritz Haarmann geschrieben – und bin eben daran auch gescheitert. Das Scheitern ist für mich ein produktiver Vorgang, dem wir uns aber immer verwehren, weil wir nur Fertigkeiten, Souveränes und Glattes präferieren. Ich glaube, es steckt auch eine ungeheuerliche Kraft im Stolpern und Stottern.

Welchen Serienmörder adaptieren Sie als nächstes für die Bühne?

Erst einmal keinen mehr.