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Im Anwohnerpark

MANJA PRÄKELS

Teil 30: Fliegt ein Pudel zu den Sternen

Ich hab so ’n Fernweh …“

„Kann ick mir nich leisten.“

„Fernweh?“

„Nee, Verreisen.“

„Dann lies eben ein Buch.“

Der beste Gitarrist der Welt zog an einem Joint und blickte skeptisch auf das Ohrläppchen seines Freundes. Seit die Sonne den grünen Flecken vor der Kaufhalle beschien, lagen sie schon dort und tranken Bier. Wie früher, als sie auf dem Heimweg von der Schule Kirschen geklaut und die Beute auf der nächstbesten Wiese miteinander geteilt hatten. Doch nie zuvor war ihm das aufgefallen: Joschi hatte keine Ohrläppchen. Oder doch. Schon. Sie waren nur am Halse angewachsen. Kein Wunder, dass der Bücher las!

„Wat kiekste mich so komisch an?“

Django grinste breit und reichte Joschi die Tüte, als sich ein blaublütiger Weimaraner anschickte, ihnen Gesellschaft zu leisten. Das Tier lief direkt auf die Musikanten zu, schnüffelte im Gras, hechelte freundlich, ging in die Hocke und machte große Augen. „Gustav!“, rief sein Herrchen aus der Ferne, und noch ehe die beiden begriffen, was geschah, war der Hund wieder davongerannt. Django starrte auf den frischen Haufen. Gustav hatte was verloren.

Alles in allem schien es den Bewohnern der kleinen Straße nordöstlich des Alexanderplatzes ein gewöhnlicher Frühlingstag zu werden. Unaufhörlich dröhnten Autos über das Kopfsteinpflaster der Hauptkreuzung. Die Flaschensammler warteten mit vollen Taschen geduldig vor dem einzigen Automaten. Vom Friedhof her leuchtete es zartgrün, und manchmal wehte ein Stück des Vogelkonzertes zu den Passanten hinüber, die – für solcherlei taub – ihren Geschäften nacheilten. Nur Oma Heinrich lief allein zum Bäcker. Ihr Pudel hatte liegen bleiben wollen.

Das Gedränge vor blaulichtund Bioladen wuchs stetig. Seit dem warmen Wochenende waren Stühle, Tische und Bänke wieder da, wo sie hingehörten: Auf dem Trottoir. Hildegard stand rauchend in der Kneipentür. Sie schnippte den glühenden Stummel auf die Fahrbahn. Genug geputzt, die Gäste saßen schon. „Na, meine Herr’n, wat darf’s denn sein?“

Sprottenpeter trohnte, frisch gebräunt und heiter, im Schneidersitz auf einer Bank. Eigentlich konnte Hildegard solche Extravaganzen nicht leiden. Aber seit sie Peter neulich nackt gesehen hatte, war sie nachsichtig mit ihm. Er hatte einen Möwen-Spleen davongetragen. Unablässig quatschte er davon:

„Die brüten auf dem Deutschen Bundestag, Unter den Linden. Wo früher das Ministerium für Volksbildung war. Oben auf’m Flachdach. Silbermöwen. Kommt alles von der Karpfenmast! Schöne Tiere, sag ich euch. Wenn die jauchzen …“

Trinkkumpan Lolle konnte die frische Begeisterung Sprottenpeters für Möwen zwar nicht teilen, hörte aber geduldig zu und nickte. Sein Blick fiel auf die Baustelle.

„Ob sie denen die Pissbecken vergolden? Oder kostet das extra?“

Die Luxusmodernisierung zwei Häuser weiter hatte die ganze Gegend in Atem gehalten und neigte sich nun ihrem Ende zu. Lolles Blick wanderte fort vom Baugerüst und jagte einer Meise hinterher, die, von Balkon zu Balkon hüpfend, lautstark Futter einforderte.

„Selbst die Vögel sind hier so …“

Der Mann, den alle Heiner Müller nannten, hatte, in eine Tageszeitung versunken, am Tisch gesessen und geschwiegen. Nun aber blickte er von den Schlagzeilen auf und fragte nach:

„Erzähl doch mal: Wie sind denn die Vögel hier?“

Foto: Nane Diehl

Manja Präkels,Jahrgang 1974, schreibt, singt und tourt mit ihrer Band Der Singende Tresen. Soeben erschien beim Verbrecher Verlag die von ihr mit Markus Liske herausgegebene Textsammlung „Vorsicht Volk!“. Seit 2009 betreiben die beiden die Gedankenmanufaktur WORT & TON. Ihr Romandebüt „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“ erscheint 2016.

Illustriert wird die „Im Anwohnerpark“-Serie von Maria MacDonald, cargocollective.com.

Verdattert zogen die Tischgenossen ihre Köpfe ein. Nicht, dass Heiner Müller je ein fröhlicher Trinkkumpan gewesen wäre. Höchstens mit Fritze oder Lale oder Wirtin Hildegard … Doch seit unlängst diese Krawattenträger von der Alternative in die Parlamente gezogen waren, umgab ihn etwas Unheimliches, Kampflustiges. Es schlummerte in seinen Augen. Lolle ging zur Sicherheit aufs Klo. Sprottenpeters Möwenstolz jedoch gebot ihm, den Ball aufzunehmen.

„Na kiek dich nur mal um“, mit einer kleinen Kopfbewegung deutete er auf den Nebentisch, der bereits zu Annes Bioladen gehörte: „Da hocken die Hühner.“ Tatsächlich steckten die Frauen dort ihre Köpfe zusammen und nickten einander hektisch zu. Der Mann, der nicht Heiner Müller war, legte die Zeitung beiseite und folgte Peters nächster Geste hinüber auf die andere Straßenseite. „Und da, die Schwalbe, elegant …“ Eilig stürmte der krumme Komponist aus dem letzten unsanierten Haus. Eines der Enden seines frisch erworbenen Fracks blieb in der Taxitür hängen. Als das Gefährt davon brauste, flatterte das Schwänzchen mit.

„Aber dafür kann doch keine Meise.“

„Und ob: Alle haben viel zu tun!“

Die beiden Männer lachten prustend auf. Als Lolle sich erleichtert wieder zu ihnen setzte, bekam er den stummen Tadel vom Nebentisch ab. Gemeine Hühner …

Da Aushilfskraft Nura mitten in den Prüfungen steckte, musste Anne den Bioladen alleine schmeißen. Seit der Frühe tobte sie zwischen den Außentischen hin und her, servierte Suppen, Tee, Weißweinschorlen und Möhrenkuchen. Mittlerweile tagte der Unterstützerinnenkreis für die Notunterkunft bei ihr. Sie aber fand keine Atempause, sich mal dazuzugesellen. Dafür wankte jetzt Django auf den Tisch zu. Ein Kunde fand seine Milch „irgendwie seltsam“ und verlangte eine neue – da nahm das Grauen bereits seinen Lauf. Der beste Gitarrist der Welt konnte zwar kaum noch stehen, wohl aber ein Liedchen zum Besten geben:

„When life seems full of clouds and rain / I am filled with an awkward pain / Who soothes my achin’, thumpin’brain? – Nobody.“

Auch Oma Heinrich war danach zu heulen. Charlotte Heinrich, geborene Roth, saß auf ihrer Couch, vier Stockwerke über blaulichtund Bioladen, und krampfte die Hand in ein besticktes Taschentuch. Seit dem Morgen war ihr klar, dass es an der Zeit war loszulassen. Doch noch spürte das alte Pudelmädchen, wie sehr es gebraucht wurde. „Mach’s jut, Kleene.“ Sie strich ihr über den Kopf. Bienchen blinzelte Charlotte ein letztes Mal zu, schnaufte durch und flog zu den Sternen.

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