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Die Riesterrente ist eine Ulknummer. Setzen sie lieber auf ein Nachwuchs-Portfolio mit RisikostreuungKinder. Süß? Nö. Geldanlage

Foto: privat

Kapitalozän

von Ingo Arzt

Wenn ich Mario Draghi sehe, bekomme ich das Bedürfnis, ein Kind zu zeugen. Kürzlich saß ich zur Besprechung am Konferenztisch im taz-Wirtschaftsressort. Wir beteten, wie jeden Morgen, für die Energiewende, als ich auf die Terminliste sah: EZB-Ratssitzung stand da. Mario Draghi.

Sofort schweifte ich ab, meine Gedanken trugen mich in einen lichtdurchfluteten Raum, in dem ich auf Holzdielen saß und mit meinem Nachwuchs, fünf pausbäckigen Wonneproppen, Holzeisenbahn spielte. Das klingt nach einer väterlichen Regung, ist es aber nicht. Mir ging es in dieser Vision um harte Ökonomie: Ich sah in den Kindern verzinsliche Geldanlagen.

Damit rühre ich an einem der letzten gesellschaftlichen Tabus. Heutzutage schreibt jeder, der Geschlechtsorgane hat – oder auch nicht –, alles Erdenkliche über Kinder. Aber schreiben Sie mal: Ich will Kinder, damit die viel Geld verdienen und mich im Alter aushalten. Sie würden geächtet.

Nun hat Mario Draghi die Leitzinsen auf null gesetzt. Sämtliche Versicherungssysteme dieser Welt beruhen auf Zinsen. Ihre Rente auch. Der Weltladen muss wachsen, immerdar. Macht er aber nicht. Wenn wir alt und tattrig sind, werden wir in überfüllten Pflegeheimen am Rand verödeter Vororte ­leben. Schlecht geölte Pflegeroboter werden uns die Ärsche abwischen. Wer Rooibostee bestellt, bekommt Früchtetee – japanischer Sprachchip.

Zeugen Sie besser Kinder. Ihr Riestervertrag ist eine spätkapitalistische Ulknummer. Ihr Lebenspartner wird Sie verlassen: Auch wenn alle davon sprechen, in eine Beziehung zu „investieren“, das ist Hochrisikokapital. Ein Kind dagegen bleibt Ihnen gewogen, das hat die Natur so eingerichtet. Wichtig beim Kinderkriegen ist eine klare Portfoliostrategie mit guter Risikostreuung. Also mindestens vier, fünf Sprösslinge, die unterschiedliche Berufe ergreifen. Einer wird schon Profit abwerfen. Adoption ist auch eine Lösung.

Sie erhöhen die Chancen durch eine materialistische Erziehung. Sie wollen keinen Nichtsnutz, der bei der Ausübung einer neuartigen Funsportart stirbt oder was mit Medien macht. Egal, ob Sie einen lesbischen Fußballprofi, eine schwule Investmentbankerin oder eine_n pansexuelle*n ­Ingenieur_??%&_in heranzüchten: Hauptsache, die machen ­alles, was sie machen, des Geldes wegen. Profit kennt kein ­Geschlecht. Gendergerechtigkeit ist die große Chance der Ökonomisierung der Fortpflanzung.

„Musst halt Kinder machen“, sagte kürzlich ein Kumpel zu mir, als wir um 17 Uhr in einer Kneipe ein Bier tranken und ich ihm meine Thesen darlegte. Ich erläuterte ihm das Konzept der „Kinderanleihe“: Man beteiligt sich finanziell an der Aufzucht eines Kindes, die Anteilsscheine werden an einer Kinderbörse gehandelt. Ist der kleine Torben gut in Mathe, steigt sein Kurs.

Mein Freund hörte sich das an, legte mir die Hand auf den Unterarm und sagte: „Mein Lieber, Kinderkriegen ist wie der Nahostkonflikt. Alle meinen, sie wüssten Bescheid. Aber solange sie nicht mitmachen, haben sie keine Ahnung.“ Dann ging er heim. Die Kinder ins Bett bringen.

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