: Kämpfe um Berg-Karabach
Kaukasus Beim schwersten Zwischenfall seit mehr als zehn Jahren sind mindestens 30 Soldaten getötet worden. Widersprüchliche Meldungen über eine einseitige Waffenstillstandserklärung Aserbaidschans
Aus Moskau Klaus-Helge Donath
Die Nachrichten aus dem südlichen Kaukasus sind undurchsichtig. Das Verteidigungsministerium in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku teilte am Sonntag mit, eine einseitige Waffenruhe „als Zeichen des guten Willens“ in Berg-Karabach auszurufen. Gleichzeitig sprach es aber von der Absicht, bereits zurückeroberte Gebiete zu sichern. Vor diesem Hintergrund dürfte die armenische Seite den Waffenstillstand kaum als ernstes Angebot aufgreifen. Würde das armenische Militär seine „Provokationen“ nicht beenden, heißt es in der Stellungnahme aus Baku weiter, würde die aserbaidschanische Armee das von armenischen Truppen besetzte Gebiet ganz „befreien“.
Seit der Nacht zu Samstag kamen bei Kämpfen an der Grenze zwischen Aserbaidschan und der nicht anerkannten Republik Berg-Karabach mindestens 30 Soldaten ums Leben. Es ist der schwerste Zwischenfall seit dem 1994 unterzeichneten Waffenstillstandsabkommen zwischen Armenien und Aserbaidschan. Beide Seiten werfen sich vor, den Waffenstillstand gebrochen zu haben. Die neue Qualität der Auseinandersetzung ist der massive Einsatz von schweren Waffen an der Demarkationslinie, die auch das Hinterland des Gegners erreichen.
Armeniens Präsident Sergej Sarkissjan sprach von 18 getöteten und 35 verletzten Soldaten. Baku will 12 Mann verloren haben – gab aber weit höhere Verluste an, die es dem Gegner zugefügt haben will. 100 armenische Soldaten sollen demnach gefallen sein. Armenien wies dies zurück. Die Übertreibung der gegnerischen Verluste hat in diesem seit Jahrzehnten schwelenden Konflikt eine lange Tradition.
Als die Gefechte ausbrachen, waren der Präsident Aserbaidschans, Ilcham Alijew, und der armenische Amtskollege Sergej Sarkissjan gerade auf dem Atomgipfel in Washington. Es klingt schon etwas seltsam, dass ausgerechnet Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu die Konfliktparteien in Abwesenheit ihrer Oberkommandierenden zum Einhalten des Friedens aufrief. Angesichts der „instabilen Lage vor Ort“ forderte auch US-Außenminister Kerry beide Seiten dazu auf, unmittelbar Verhandlungen zur Beilegung der militärischen Eskalation aufzunehmen. Die türkische Regierung sicherte unterdessen Aserbaidschan ihre Unterstützung zu.
Medien in Baku und Eriwan berichten, dass sich viele Freiwillige zum Einsatz an der Front melden. Für beide Kriegsparteien ist Berg-Karabach mehr als ein Symbol. Die Aseris wollen die Niederlage in den 90ern wettmachen. Auch für Armenien ist Karabach Teil des nationalen Selbstverständnisses. Die aserbaidschanische Armee ist zwar besser ausgerüstet als die Armeniens. Es fehlt ihr aber an Schlagkraft und Disziplin. Armeniens Militärs können sich überdies im Notfall auf die Hilfe Russlands verlassen.
Noch ist unklar, was aktuell beabsichtigt ist. Beide Präsidenten stehen unter Druck. Baku geht wegen des Ölpreisverfalls das Geld aus, womit es sich bislang Rückhalt erkaufte. Und auch in Eriwan kam es in den letzten Monaten zu lang anhaltenden sozialen Protesten.
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