: Hunger nach Leben, Glück, Sex
SINNSUCHE „faust hat hunger und verschluckt sich an einer grete“ des österreichischen Dramatikers Ewald Palmetshofer am Theater Mannheim
Das Drama ist schon lang vorbei. Aber man redet noch drüber. Fürs Fernsehen, das die Szenen nachstellt. Und auch fürs Gewissen, das beruhigt werden will. Dabei ist die Geschichte banal, zwei Menschen treffen sich auf einer Party, es wird was draus, das bald kaputtgeht, und das Ende ist nicht besonders schön. Deshalb fühlen sich dann auch die anderen irgendwie so schlecht, dass sie drüber reden müssen.
„faust hat hunger und verschluckt sich an einer grete“ hat der 31-jährige österreichische Dramatiker Ewald Palmetshofer sein Stück genannt, das an der Oberfläche zunächst harmlos, dann aber ziemlich böse seiner Generation den Spiegel vorhält. In einem rückblickenden Bekenntnisreigen lässt er drei junge Paare, vereint durch regelmäßige „Bring what you eat“-Zusammenkünfte im gemeinsamen Wohnblock, sich ihre Malaise von der Seele tratschen. Auf der Mannheimer Studiobühne, wo Dieter Boyer die deutsche Erstaufführung eingerichtet hat, laufen sie in paarsymbiotischer Farbzuordnung auf.
Puzzleteilchen einer Figur
„Integrieren“ will man auch „Sie“ und „Ihn“, diese bedauernswerten Singles, die es noch nicht in die gutbürgerliche Zweisamkeit geschafft haben. Weil diese beiden Hauptfiguren in Palmetshofers Stück zwar Text, aber keine eigenen Schauspieler haben, müssen die anderen in Vertretung ran. Während „Er“ immer wieder vom selben Mitspieler inkarniert wird, hat Palmetshofer „Sie“ auf alle drei weiblichen Akteure verteilt. Durch Kleiderwechsel markiert, funktioniert das in Mannheim ziemlich gut. Boyer hat mit Almut Henkel, Wiltrud Schreiner und Louisa Stachowiak drei so unterschiedliche wie intensive Schauspielerinnen besetzt, von denen zwischen Romantik, Emanzipation und Melancholie jede ein Puzzleteil zu „Ihr“ beiträgt. Klaus Rodewald, Tim Egloff und Daniel Fries, die männliche Pendants, stehen ihnen in nichts nach.
Dabei wird schnell klar, dass der suggestive Stücktitel eigentlich die Tatsachen verdreht. „Er“, eine Art Möchtegern-Faust, hat zwar Hunger – nach Leben, Glück, Sex –, aber es ist die ebenso hungrige „Sie“, eine postmodern traurige Grete, die sich an seiner selbstbezüglichen Sinnsuche verschluckt. Deshalb geht es in der Palmetshofer’schen Gretchenfrage auch nicht um Glaube oder Religion, sondern um die Liebe, die in einem großartigen Aneinandervorbeisprechen letztlich selbst als Wort unrealisiert bleibt.
Der vielgerühmte Palmetshofer-Sound ist dabei ein Fest der Leerstellen, die man als Zuhörer bis zur Überforderung selbst füllen muss. Das kann im Fall von ausufernden systemkritischen Monologen zur Kapitulation führen. In den besten Momenten aber – den Pingpongdialogen, die einem ausgefeilte Worthülsen um die Ohren hauen – entsteht daraus eine markante Kunstsprache, die Palmetshofer von den meisten seiner der Alltagssprache verpflichteten Kollegen unterscheidet.
Der Deutschen (und Österreicher?) liebstes Stück, Goethes „Faust“, hat der Wiener Autor sanft geplündert. Versatzstücke schraubt er in die Rede seiner Figuren, die nach dem Kern suchen, die Verneinung finden und gerne auch mal was Schönes verweilen lassen würden. Vor allem aber hat Palmetshofer die brachiale Kindsmordtragödie in sein Stück übertragen und sie für die Mannheimer Fassung dramaturgisch noch stärker herausgestellt.
Krisengebiete
Während „Er“ als humanitärer Weltenbummler immer auf der Suche nach dem nächsten Krisengebiet die Zelte schnell wieder abbricht, baut „Sie“ eins auf im heimatlichen Wald, wo sie das gemeinsame Kind verscharrt. In Mannheim erzählen davon eine Grube in der Bühnenmitte und riesige Äste, die Anke Niehammer wie wuchtige Wurzeln in den dunklen Raum ragen lässt.
Die Kindstötung ist die Sollbruchstelle in Palmetshofers Stück und der Knackpunkt von Boyers eigentlich leichtfüßig gewitzter Inszenierung. Auf offener Bühne lässt er mit Kleiderbügel und Theaterblut Abreibung spielen, was außer plattem Ekelfaktor keinen Mehrwert hat. Zum Glück darf sich Wiltrud Schreiner danach schnell was über das besudelte Unterkleid ziehen und die Geschichte im Kollektiv zu Ende berichten. Denn das Unbehagen entspringt bei Palmetshofer eben nicht der einzelnen monströsen Tat, sondern dem Abgrund, der bei aller Nähe zwischen den Menschen liegt.
KRISTIN BECKER