Das Unglück eines einfachen Mannes

Theater Sensibilität für die Sprache – Anne Lenks „Hiob" nach Joseph Roth am Deutschen Theater

Sie schwingen die Beine über den Kasten an der Bühnenkante, schon sitzen sie da wie die Kasperlepuppen, grinsen und zwinkern sich zu. Die drei sind eine Bande, das sieht man gleich. Wenn sie zu dritt erzählen über Mendel Singer, dann ist das Einverständnis unter ihnen groß, dass es nicht weit her ist mit diesem armen Lehrer aus einem jüdischen Schtetl in Russland. Dabei sind Jonas, Schemarjah und Miriam seine Kinder. Und wenn sie bald von einem vierten Kind berichten, dem behinderten Bruder Menuchim, dann ahmen sie mit der Grausamkeit von Kindern seine Grimassen und Zuckungen nach.

Joseph Roths „Hiob – Roman eines einfachen Mannes“ erschien 1930 und erzählt eine Geschichte voller Unglück. Mendel Singer wandert aus, er folgt seinem Sohn Schemarjah nach Amerika. Aber seine Familie, die schon in der Alten Welt keine Perspektive hatte, zerfällt auch dort. Die Kinder stürzen sich ins Amerikanischwerden wie in einen Zug, der sie bald mit überhöhter Geschwindigkeit aus der Kurve stürzen lässt. Mendel bleibt mit einem Gerüst von Lebensregeln und Vorstellungen zurück, die ihm im Getriebe der Stadt New York keine Orientierung bieten.

Festhalten an der Prosa

Die Regisseurin Anne Lenk hält für ihre Bühnenfassung – am Donnerstag hatte sie Premiere am Deutschen Theater – über weite Strecken an der Prosa Roths fest. Sie macht das, weil sie glaubt, dass der knappe und präzise Ton der Sprache weite Vorstellungsräume öffnen kann. Dieses Konzept geht auf. Die erzählenden Sätze ziehen Konturen um die Figuren, so hart und eng wie die sozialen und ökonomischen Verhältnisse, an denen sie sich stoßen. Und doch fühlt man den Lebenshunger, mit dem sie gegen Grenzen rennen und sich daran wund reiben.

Der von Halina Kratochwil eingerichtete Bühnenraum bleibt im ersten Teil, der noch in Russland spielt, auf die schma­le Vorderbühne beschränkt. Erst mit der Überfahrt nach Amerika öffnet er sich in die Tiefe. Den Kostümen scheinen alle Farben entzogen. Als ob die Bühnenpersonen alte Fotografien betrachten und sich dabei die Geschichten der verlorenen Leben erzählen würden.

Zu ertragen, was nicht zu verstehen ist, sich bestraft zu fühlen, immer, das ist es, womit Mendel Singer hadern muss, den ganzen Roman lang. Seine Dialoge mit Gott sind bitter und doch sein letzter Zufluchtsort. Ein solches Lamento auf die Bühne zu bringen, ohne sich mit Karikatur vor dem naheliegenden Pathos zu retten, gelingt selten. Bernd Moss aber schafft genau das. So dicht an der Sprache des Romans zu bleiben, der so poetisch über das Leiden derer erzählt, denen es in ihrer Heimat wie in der Fremde an Ausdrucksmöglichkeiten fehlt, erweist sich auch als glückliche Konstruktion für die Schauspieler. Ihre Sensibilität für die Sprache, das Ausloten des Raumes hinter jedem Wort, kann sich hier ganz entfalten. Das gilt nicht nur für Moss, sondern auch für Alexander Khuon als Menuchim und die anderen Darsteller.

Als Menuchim, als Kind, das nicht mehr als „Mama“ sagen kann, hockt Khuon im ersten Teil der Erzählung in einer Ecke, mit Liebe überschüttet von der Mutter, malträtiert von seinen eifersüchtigen Geschwistern. Er wird zurückgelassen beim Aufbruch nach Amerika, der Preis für den Einkauf in ein neues Leben, das bunt und mechanisch wie Jahrmarktsbudenfiguren über die Bühne hopst. Aber ab diesem Moment wird Menuchim zum Erzähler, der, während er vom Elend und den Schuldgefühlen seines Vaters redet, diesem begütigend über den Kopf streicht.

Vor zwei Wochen brachte die Regisseurin Yael Ronen im Gorki „Feinde – die Geschichte einer Liebe“ auf die Bühne, nach Isaac B. Singer, ebenfalls ein Roman über jüdische Einwanderer in New York. Es lohnt sich, beide Inszenierungen zu sehen und die Romane zu lesen, auch weil sie aus einer anderen Perspektive über Verluste der Zugehörigkeit und Illusionen neu konstruierter Identitäten erzählen, als es etwa in der aktuellen Debatte über Integration geschieht.

Beide Inszenierungen stellen das nicht in den Vordergrund. Aber sie nutzen die Literatur wie eine Leitung in die Vergangenheit, als man womöglich schon einmal tiefer in den Menschen geblickt hat als heute.

Katrin Bettina Müller

Wieder am 9. und 24. April im Deutschen Theater