: Auch Ziegenkäse schmeckt
SCHLEMMERLAND Das europäische Käsezentrum versucht, bei Endverbrauchern die Lust auf anspruchsvolle Sorten zu wecken. Es ist eine Mischung aus Museum und Verköstigungsstätte. Auch Profis werden hier geschult
■ Die größte Käseproduktion der Welt liegt in den USA, die unterschiedlichsten Sorten werden in Frankreich hergestellt. Der deutsche Käsemarkt gilt mit seinen rund 950 Sorten aus aller Welt als der internationalste.
■ Mehr als 4.000 Menschen besuchten im vergangenen Jahr das Käsezentrum in Hannover – 80 Prozent waren private Käseliebhaber.
■ Für Käseliebhaber, die nicht beruflich hinter einer Verkaufstheke stehen, bietet das ECC zahlreiche Veranstaltungen an. Die Veranstaltungen reichen von einem Schlemmerbuffet bis zu einem Fondue-Kurs.
■ Das ECC bildet Käseverkäufer in einem zweiwöchigen Kurs zu Genussexperten mit Sommelier-Diplom aus. Die Kosten für das Seminar belaufen sich auf rund 1.600 Euro.
■ Lab: Damit die Milch zum Käse gerinnt, wird ihr Lab zugesetzt – ein Gemisch von Enzymen, das aus dem Labmagen von milchtrinkenden Kälbern stammt. Dieses Lab kann durch Enzyme aus Kräutern ersetzt, von Schimmelpilzen und von gentechnisch veränderten Bakterien erzeugt werden.
■ Bakterien und Pilze entscheiden auch darüber, ob aus einem Käse ein Camembert oder ein Romadour wird. Früher waren es die Organismen, die in einer bestimmten Region vorkamen und so dem Käse das Gepräge gaben. Heute wird der Käse bei der Herstellung mit den entsprechenden Kulturen geimpft.
■ Hart- und Weichkäse werden durch unterschiedlichen Wasserentzug hergestellt.
■ Reifung: Käse gewinnt an Geschmack durch Reifung. Dazu muss er unter den richtigen Bedingungen gelagert und gepflegt werden: nicht zu kalt, nicht zu trocken. Das machen professionelle Verfeinerer, die „Affineure“. PHW
VON PHILIPP WEBER
Den Ziegenkäse hat Gerald Oetjens (58) bislang im Käseregal gemieden. Ziege stinkt doch, dachte er. Nun denkt er anders. Der Mann mit kurzem Haar und Ohrring gehört zu den Besuchern des Schlemmerbuffets im European Cheese Center (ECC) in Hannover, dem europäischen Käsezentrum.
Das ECC ist so etwas wie das Disneyland der Käsefreunde: eine Mischung aus Käsemuseum und Verköstigungsstätte für die Amateure – all die Endverbraucher, die ein besonderes Faible für Käse haben. Außerdem ist es ein Schulungszentrum für die Profis. Fachverkäufer können hier alles über Käse erfahren – Geschmack, Herstellung, Herkunft, sogar die perfekte Schneidetechnik der Käselaibe, sodass möglichst wenig Verschnitt entsteht. Seit Februar 2012 können sie dies mit einem Sommelier-Diplom abschließen.
Ein Diplom wollen die rund dreißig Gäste an diesem Abend nicht erwerben. Sie sind gekommen, um Käsespezialitäten zu probieren, die sie an der Käsetheke im Supermarkt womöglich nicht anrühren würden. Selbst aus Berlin ist eine Frau angereist.
Katrin Heuer, die Leiterin des Käsezentrums – selbst eine Diplom-Käsesommelière – hat die Theke in ein Buffet verwandelt, auf dem halbe Käselaibe und Käserollen sowie Käse in Kugel- und in Blockform zwischen Broten und Feigen-Senf-Sauce drapiert sind.
Mild schmecke er, aber dennoch pikant, so beschreibt Heuer den Polder Gold aus den Niederlanden. Sein Aroma erhalte der Ziegenkäse durch seine lange Reifezeit: „Mindestens ein Jahr“, sagt die Diplom-Käsesommelière. „Ziegenmilch kann sehr schnell Stallgerüche annehmen. Das Problem ist aber gelöst. Das Vorurteil besteht noch immer.“
Oetjens glaubt an dieses Vorurteil nun nicht mehr. Er hat sich richtig verliebt in den Polder Gold, dessen Stücke Heuer zum Servieren mit einem Hartkäsemesser vorsichtig aus dem Laib herausbricht.
Der Ziegenkäse füllt nur einen kleinen Bereich des Buffets: Brebis d’Argental, ein französischer Weichkäse aus Schafmilch, liegt da. Einige Teller weiter folgt ein Pierre Robert aus Frankreich, ein milder Weichkäse aus Kuhmilch, der besonders gut zu Rotwein passt. Insgesamt zählt man gut zwei Dutzend Sorten, darunter auch solche, die gerade in Mode sind wie der knallrote Gouda, dem getrocknete Tomaten beigesetzt wurden.
Wer viel Käse zu Hause probieren möchte, ist schnell ein Vermögen los, weiß auch Heuer. Dabei sei die Auswahl heikel. „Bei Wurst ist das anders, die kann man auch blind kaufen“, sagt die Sommelière. „Bei Käse greift man eher zu den vertrauten Sorten“ – ein Grund, warum es das Käsezentrum gibt.
Guter Käse lässt sich nur noch mit guter Beratung verkaufen, das beobachtete Ende der 90er-Jahre Volker Zuck, Gründer des Käsezentrums und Geschäftsführer des angrenzenden Käsegroßhandels Rawisch und Zuck – Norddeutschlands größter Käselieferant. 1999 entschloss er sich, Käse nicht nur zu vertreiben, sondern auch auszustellen und Käsefachwissen zu lehren.
Im Käsezentrum wollte Zuck alle europäischen Käsegebiete zeigen. Der Museums- und Verköstigungsbereich des Zentrums ist daher wie ein Dorf aufgebaut und gliedert sich in die europäischen Herkunftsregionen auf. Man sei eben das „europäische“ und nicht nur das deutsche Käsezentrum.
Jeder Gast kann den Abend mit einer Tour durch das Museum beginnen und per Audioführer die Grundlagen der europäischen Käsekultur kennenlernen. Die Grenzen zwischen einer authentischen Nachbildung der Käseregionen und Kitsch und Klischee sind hier fließend: In der Berghütte – nach eigener Aussage aus originalem Baumaterial errichtet – türmen sich von der Kuhglocke über einen Schlitten bis zur Stofftier-Kuh alle Dinge, die man mit den Alpen verbinden könnte.
Englischer Käse ist in einer Londoner Telefonzelle ausgestellt. Auch die Käselaibe sind nicht echt. „Wir mussten aber schon einige Attrappen austauschen“, erzählt Heuer, „wir haben Abdrücke von Kindergebissen entdeckt, weil die so echt aussehen.“ Der typische Geruch einer Käserei fehlt trotzdem.
SOMMELIÈRE KATRIN HEUER
Den Gästen scheint es zu gefallen, wenn sie nach dem Rundgang inmitten dieser Fantasiekulisse sitzen und kosten, während Heuer an der Theke Ratschläge gibt: „Nicht ertränken, nur ein Tupfer von der Feigen-Sauce“ oder: „Der ist sehr reif, aber lecker.“
Ludwig Meurer sieht man die Begeisterung an seinem Grinsen an. Auf dem Teller des Kölner Käsefans stapeln sich fast zehn unterschiedliche Sorten, als er auf dem Weg zu seinem Platz stoppt: „Das ist mein Lieblingskäse“, sagt er und zeigt dabei auf einen Vacherin. Meurer steht inmitten einer Kulisse, die einer französischen Markthalle gleicht. „Man kann gar nicht mehr aufhören, bevor er alle ist“, schwärmt er über den Franzosen, der nur von August bis März hergestellt wird.
Für ihn und die anderen Gäste ist Käse ein Grundnahrungsmittel, aber auch mehr als das. Der Blick auf die Preise zeigt, dass Käse ein Luxusgut sein kann, für das sie bereit sind, mehr auszugeben – beispielsweise weil ein bestimmtes Gütesiegel besagt, dass der Käse nur in einer speziellen Käseregion nach einem festgelegten Verfahren hergestellt wurde.
Aus diesem Grund sei Käseessen auch ein Erlebnis, sagt Heuer. „Man kann mit jedem Bissen ein Stück Kultur erleben, da man herausfinden kann, aus welcher Region der Käse stammt, sogar, ob es sich um einen Käse aus Winter- oder Sommermilch handelt.“
Auch die Kunden nähmen dies mittlerweile viel stärker wahr. Ein Drittel der Käsesorten, die der angrenzende Großhandel vertreibt, seien bereits Spezialitäten. Die Schulungsabteilung des ECC will genau diese Kultur ausbauen. 37 Diplom-Käsesommeliers hat das Käsezentrum im vergangenen Jahr bereits ausgebildet – Tendenz steigend.