„Die Radfahrer-Initiative hat eine sehr elegante Art, mit dem Kopf durch die Wand zu gehen“

Das bleibt von der Woche Hertha BSC wünscht sich ein neues Stadion, der ADFC unterstützt künftig die Radler, der Terror in Brüssel ist auch in Berlin zu spüren, und in Kreuzberg diskutieren Bewohner über das einzig wahre Fest am 1. Mai

Lieber feiern und saufen als raufen

Debatte ums Myfest

Lässt sich die Myfest-Crew vor den Karren von Frank Henkel spannen?

Wer hat denn nun die Richtlinienkompetenz in Kreuzberg, wenn’s ums Feiern geht: die pragmatisch veranlagten Macher der Myfest-Crew oder die scheinbar visionären Verweigerer? Letztere treten als Bündnis „Revolutionäre 1.-Mai-Demonstration“ auf – sie haben die Schnauze voll vom aufgeblasenen Event-Myfest. Stattdessen werden auf einer Diskussion im Club SO36 am Dienstagabend Alternativen ins Spiel gebracht. Vielleicht mal ganz aussetzen, lautet eine. Oder besser noch: ein Kiez-Fest „von unten“ aufbauen.

Und haben sie nicht recht mit der Behauptung, dass der 1. Mai ein historisch gewachsener Tag ist, dem Protest anstelle von Kommerz viel besser zu Gesicht stünde? Irgendwie ja schon, wird man sich sagen. Gründe, auf die Straße zu gehen und lautstark seinen Unmut zu bekunden, gäbe es genug. Speziell in Kreuzberg, wo steigende Mietpreise oder Häuserräumungen ein heißes Thema sind. Sagen die Alternativen.

Sie finden auch, dass sich die Myfest-Crew um Halis Sömnez vor den Karren Frank Henkels spannen lasse. Ausnutzen würde der verhasste CDU-Innensenator die Kreuzberger. Weil vor lauter Feiern und Saufen der politische Gegenwind erlahme. All dies mag stimmen. Ebenso die Tatsache, dass die grölenden Myfest-Touris vielen Anwohnern missfallen.

Andererseits repräsentieren die Alternativen eben nicht die Mehrheit im Kiez. Die will offenbar lieber ein friedliches Myfest mit Musik, Tanz und einem großen Köfteangebot. Der „Kampf gegen das Kapital“, den Bündnissprecher Marco Lorenz am Dienstag propagierte, lockt keinen mehr hinterm Ofen vor – die Myfest-Crew weiß das. Und sie weiß auch: Feiern und Saufen gefällt den Meisten eh ­besser! David Joram

Berliner bleiben Schlusslicht

Hertha will neues Stadion

Die Auslastung im Olympiastadion liegt bei mageren 63,6 Prozent

Vor noch nicht allzu langer Zeit hat sich Hertha BSC gerühmt, den deutschen Zuschauerrekord gebrochen zu haben. Das war in der Zweiten Bundesliga. Im Aufstiegsjahr 2011 kamen im Schnitt pro Spiel 46.131 Zuschauer ins Olympiastadion, so viele wie noch nie in Liga zwei. Im Jahr darauf stieg der Schnitt sogar auf 53.449.

Und nun das: Nur 47.000 kommen bisher im Schnitt, trotz der besten Saison seit zehn Jahren. Sind die Fans undankbar?

Michael Preetz, Herthas Manager, hatte zu Wochenbeginn eine einfache Antwort parat. Das Stadion sei schuld: zu groß, keine Atmosphäre, bis zu 5 Punkte pro Saison würde man liegen lassen, weil keine Stimmung aufkomme wie in Dortmund oder Gladbach.

Tatsächlich ist Hertha, was die Stadionauslastung angeht, seit Jahren Schlusslicht. Während es in Dortmund immer voll ist, liegt die Auslastung im Olympiastadion bei 63,6 Prozent. Selbst der Vorletzte Hannover bringt es auf 82,1 Prozent.

Preetz will nun das Angebot verknappen und fordert ein neues Stadion, eine reine Fußballarena mit 50.000 bis 55.000 Plätzen. Das würde den Dauerkartenverkauf ankurbeln, weil nur so die Sicherheit besteht, ­gegen die Topclubs einen Platz zu bekommen. Und die Hütte wäre so gut wie immer voll.

Stimmt alles. Ist aber auch nicht neu. Bevor das Stadion für die WM 2006 saniert wurde, gab es die Debatte um Herthas Spielstätte schon mal. Dann nahmen Bund und Berlin 242 Millionen Euro in die Hand und sanierten das denkmalgeschützte Olympiastadion. Würde Hertha wegziehen, stünde es meist leer.

Natürlich könnte Hertha aus eigener Kraft ein Stadion bauen. Aber wo? In Dreilinden, wo man nur mit dem Auto hinkommt? Und wird Berlin dafür eine Baugenehmigung erteilen? Eben. So bleibt alles beim Alten. Es sei denn, Preetz hat gepokert und will nichts anderes, als die Stadionmiete zu drücken. Der Vertrag mit dem Land läuft 2017 aus. Uwe Rada

Ein PR-Profi fürden Radverkehr

Volksentscheid feat. ADFC

Das geforderte Radfahrgesetz trifft mit seinen Zielen den Nerv der Zeit

Man muss es neidlos anerkennen: Die InitiatorInnen des „Volksentscheids Fahrrad“ verstehen sich auf PR. Das fängt schon mit dem Namen an und dass jetzt alle über „den Volksentscheid“ sprechen, obwohl naturgemäß noch gar nicht feststeht, dass wirklich einer stattfinden wird. Am vergangenen Wochenende dann schaffte es „der Volksentscheid“, die ADFC-Mitgliederversammlung, einen normalerweise eher drögen Termin, in eine Art fahrradpolitische Vorwahlen zu verwandeln.

Der klare Beschluss der Versammlung, die Volksentscheids-Initiative offiziell zu unterstützen, ist natürlich der Tatsache geschuldet, dass das geforderte Berliner Radfahrgesetz mit seinen ambitionierten Zielen den Nerv der Zeit trifft. Die Menschen sitzen eben immer häufiger auf dem Sattel und wollen endlich wie gleichwertige VerkehrsteilnehmerInnen behandelt werden.

Ohne das Verkaufstalent eines Heinrich Strößenreuther – die treibende Kraft der Volksentscheids-Initiative – wäre der Prozess aber kaum so weit gediehen. Während andere sich in allerlei Argumenten verheddern (die für sich genommen nicht mal falsch sein müssen), stellt Strößenreuther sich hin, macht eine Kunstpause und sagt drei kurze Sätze: „Schlimmstenfalls haben wir im Herbst 2017 eine Diskussion angestoßen. Realistischerweise haben wir einen Volksentscheid gewonnen. Optimistisch betrachtet, schreibt eine neue Koalition schon diesen September das Fahrradgesetz in ihren Vertrag.“

Im Grunde ist die Vorgehensweise von Strößenreuther und seiner Initiative eine sehr elegante Art, mit dem Kopf durch die Wand zu gehen – so elegant, dass sich die verblüffte Wand einfach von selber öffnet. Die Idee, dass die VelofahrerInnen das Heft des Handelns selbst in die Hand nehmen, ist einfach schon zu populär, da konnte der ADFC es sich gar nicht leisten, gegen den Volksentscheid zu opponieren. Auch wenn das Fahrradgesetz nicht völlig ausgegoren ist. Auch wenn der Beschluss mit dem unausgesprochenen Eingeständnis verbunden ist, dass man selbst viel zu lange viel zu brav gegenüber dem Senat gewesen ist.

Nun wird es interessant sein zu beobachten, wie die derzeit regierenden Parteien, namentlich die SPD, mit der Zumutung „Volksentscheid Fahrrad“ um­gehen werden. Wie ernst sie den nehmen, zeigte schon die Anwesenheit des Verkehrs-Staatssekretärs bei der ADFC-Debatte. Und die Angst, die CDU könnte sich auf Kosten der Genossen bei der Radverkehrspolitik profilieren – Ansätze dazu gibt es –, wird ein Übriges tun. Auch wenn es an dieser Stelle schon mal stand: Es bleibt spannend.Claudius PröSSer

Eine verspätete Panikattacke

Terror in Brüssel

Kann sich Entsetzen abnutzen? Vielleicht. Für mich war es ein Anschlag zuviel

Den Leitartiklern dieser Woche und ihren klugen Gedanken zum islamistischen Terror in Brüssel ist natürlich unbedingt beizupflichten. Vollständiger Schutz vor Anschlägen? Nicht möglich, selbstverständlich. Mehr Polizei, mehr Überwachung? Es wäre beängstigend, und es wäre wohl auch sinnlos. Und in Berlin obendrein nur eine hypothetische Diskussion: Schließlich hat Innensenator Frank Henkel (CDU) nach dem Terror von Paris im November selbst gesagt, der gewöhnliche Berliner Polizist sei dem gewöhnlichen islamistischen Terroristen im Zweifel „heillos unterlegen“. Also Gelassenheit zeigen, jetzt erst recht? Ja, klar, jetzt erst recht.

Nein, ich jetzt nicht mehr. Auch wenn ich wünschte, mein Bauch würde weiterhin auf meinen Kopf hören: Ich habe zwei Zugtickets, Berlin–Brüssel, für mich und meinen Sohn gekauft, aber ich werde sie wohl nicht einlösen. Geplant war eine Fahrt zu Pfingsten, mit dem Schlafwagen, schön altmodisch und ein bisschen abenteuerlich.

Nun bin ich ein bisschen spät dran mit meiner Panikattacke. Nach den Terroranschlägen in Paris am 13. November 2015, als 132 Menschen starben, wurde diese Mehr-Polizei-und-bloß-kein-Bauchgefühl-Diskussion schließlich auch schon geführt. Dann legte sich das kollektive Bauchgrummeln wieder – und ich hatte ohnehin keins gehabt. Die Debatte, ob man jetzt noch ins Café gehen kann, weil ja unter anderem dort die Attentate von Paris stattfanden? Ja, konnte ich nachvollziehen, schien mich aber nicht zu betreffen. Und mehr Polizei gab es in Berlin hernach höchstens bei des Innensenator liebsten Feinden, den Linksautonomen in der Rigaer Straße.

Und jetzt, nach Brüssel, 34 Tote, über 200 Verletzte? Natürlich sagen die Politiker das Gleiche wie im November, und die Leitartikler schreiben das Gleiche. Es gibt wieder Blumen vor einer Botschaft, wenn auch deutlich weniger als noch im November. Ein Mann sagt in der Mittagspause zu seiner Kollegin, man könne ja gar nicht dankbar genug dafür, sein dass man morgens heil ins Büro komme. Sie nickt, dann ist das Thema, die Anschläge sind gerade 24 Stunden her, abgehakt und die beiden widmen sich ihrem Mittagessen. Auch wenn es zynisch klingt: Wir bekommen offenbar langsam Routine mit dem Terror.

Kann sich Entsetzen abnutzen? Vielleicht. Für mich war es ein Anschlag zu viel. Jetzt muss ich allerdings nur noch meinem Sohn die Sache mit der Angst und dem Bauchgefühl erklären. Ein gutes Vorbild wäre ich dann nicht. Anna Klöpper