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KUNST

KunstNoemi Molitorschaut sich in Berlins Galerien um

Als lebende Gegenüber bezeichnet Keltie Ferris ihre Gemälde. Und erscheint im Bewusstsein über das Verklärungspotenzial einer solchen antropomorphisierenden Projektion umso freihändiger in ihrer abstrakten Malerei, der Klemm’s zum ersten Mal in Deutschland eine Einzelausstellung widmet. Auf den ersten Blick gleicht kaum eine Arbeit der nächsten. Einzig „((BedStuy))“ und „swiSHSHSH“ (je 2016) scheinen mit ihren schwarz schillernden Schlieren über matt-pastelligem Grund ein Paar zu bilden. Tatsächlich zeigen Ferris’ großformatige Öl-Acrylarbeiten immer wieder Verbindungslinien auf – seien es Pastelltöne, die auf Primärfarben treffen, hauchdünne und dabei geradlinige Abstufungen des Malgrundes auf Leinwand, oder Dreiecksformationen, die schemenhaft den „body prints“ ihres Körpers zu antworten scheinen, der sich nie gänzlich erkennbar als Pigmententladung auf Papier abzeichnet. Dieses Schemenhafte, Ephemere verdichtet sich im abstrakten „*C*O*N*T*A*C*T*“ (2016). Grelle, mit Ölfarbe gesprühte Sphären treffen auf taubenblaue Flächen, die im verschachtelten Spachtelauftrag der Unschärfe begegnen. Die scharfen Kontraste heben die Techniken voneinander ab und das Schichtungsverfahren der Malerei hervor. Vor zehn Jahren hätten die Menschen hier Stadtlandschaften erahnt, so Ferris, heute verdächtigten sie digitale Ästhetiken. Dabei wirkt Ferris’ Malerei über jegliche Zeitlichkeit und kunsthistorische Einengung erhaben (bis 23. 4., Die.–Sa., 11–18 Uhr, Prinzessinnenstr. 29).

Holger Pohl hingegen holte mit seiner Arbeit „4 ½ Stunden. Manuskript eines Tennismatches“ das berüchtigte 4 Stunden und 37 Minuten Tennismatch, das sich 1989 zwischen Ivan Lendl und Michael Chang abspielte, in die Gegenwart und zog es umso weiter in die Länge: Drei Monate lang transkribierte er das Spiel nach eigenem Zeichensatz aus Spielständen und Sekunden repräsentierenden Kreuzen, Weiß auf Schwarz gepinselt wie gedruckt, einem binären Code-System gleichend. Etwas über 4 ½ Stunden dann auch die Gesamtlaufzeit der Ausstellung anlässlich des Artist Book Release zur Arbeit vorgestern im Centrum Projektraum. Neben den nüchtern repetitiven Notizen lief eine Aufzeichnung des Matches, bei dem die Kontrahenten und das Publikum mit zunehmender Endlosigkeit des Spiels die ungeschriebenen Regeln des Nicht-Kontaktsports verlassen: Chang stellt sich zum Aufschlag mitten ins Feld, die Menge johlt, mault, feuert an, bis er, der Außenseiter, das Unmögliche schafft und gewinnt. Was sind da schon 16.000 Zeichencodes und drei Monate Arbeit?

(Das Manuskript ist erschienen bei: www.textem.de).

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