piwik no script img

„Joseph Beuys lebt“

Kunst Die erste Kunstbiennale „Utopia = Reality“ im kroatischen Labin steht im Zeichen des Meisters des Filzes und des Fetts

VON Alem Grabovac

Die italienische Baronin Lucrezia De Domizio Durini raucht noch schnell eine Zigarette. Gleich wird sie die Eröffnungsrede zur ersten Kunstbiennale im kroatischen Labin halten. Ihr persönlicher Diener, ein hagerer großgewachsener Mann mit Schnauzbart, hält den Aschenbecher für die Baronin. Noch sprechen die Honoratioren: der Bürgermeister, der italienische Botschafter, der Ministerpräsident Istriens, ja sogar die kroatische Präsidentin ist angereist.

Sie alle sind an diesem Tag nur Statisten: Im Mittelpunkt steht die millionen­schwere Baronessa, die Kunstliebhaberin, die Geldgeberin, Mäzenin und Kuratorin der Veranstaltung. Die Baronin ist 80 Jahre alt, ihre Haare sind hennarot gefärbt, sie trägt einen eleganten schwarzen Pelzmantel und Pumps mit riesigen Absätzen. Die Eröffnungsfeier findet auf dem Fabrikgelände eines ehemaligen Kohlebergwerks statt. Einige der Gebäude sind verfallen, der Putz blättert von den Wänden, manche Fenster sind zerschlagen. Oben auf einem verrosteten Förderturm steht noch der Name Tito neben Hammer und Sichel. Die halbe Stadt ist gekommen, hat sich fein herausgeputzt, lauscht der Präsidentin.

Die Baronin hat zu Ende geraucht, ihr Diener entsorgt den Zigarettenstummel umweltgerecht in einer Mülltonne. Die ganze Szenerie erinnert ein wenig an Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“, in der eine Milliardärin eine verarmte Kleinstadt besucht. Die kleine Baronessa wird aufgerufen und betritt mit ihrem Diener würdevoll die Bühne. Es folgt eine donnernde, begeisternde, flammende, furiose und nicht enden wollende Hommage an die Kunstphilosophie von ­Joseph Beuys. Jeder Mensch sei ein Künstler und jeder Künstler müsse der Gesellschaft dienen, sagt die Baronin. Man müsse im Einklang mit der Natur leben, müsse die Natur achten und respektieren. Die Gesellschaft, sagt die Baronin, sei wie eine soziale Skulptur, die durch die Kunst geprägt und geformt werden könne. Joseph Beuys habe durch seinen basisdemokratischen und ganzheitlichen Kunstbegriff einen Weg für die kreative, nachhaltige und sozial gerechte Umgestaltung der Gesellschaft aufgezeigt. Man müsse, so die Baronin, die Welt im Sinne von Beuys konsequent und radikal verändern.

Eine Dreiviertelstunde lang predigte die kleine Baronin die Beuys’schen Weisheiten auf ihre Zuhörerschaft hinab. Die Baronin hatte Beuys 1971 kennengelernt, wurde zu seiner Schülerin, begleitete ihn auf seinen weltweiten Ausstellungen und richtete ihm in ihren prächtigen Palazzo in Bolognano ein Atelier ein. Nach seinem Tod 1986 hat sie es sich zur Lebensaufgabe gemacht, sein Werk durch Bücher, Essays und Ausstellungen zu verbreiten und zu wahren. Joseph Beuys, so schien es jedenfalls, war zu ihrem Gott geworden und sein Werk diente ihr als heilige Schrift, dessen Gebote man bedingungslos zu befolgen hatte. Zum Abschluss ihrer Rede schrie die Baronessa mit erhobener Hand: „Joseph Beuys lebt. Joseph Beuys lebt.“

Die Biennale begann, wie könnte es auch anders sein, mit einer Ausstellung über Beuys. Beuys mit Andy Warhol, Beuys in einer Debatte mit seinen Studenten, Beuys mit dem toten Hasen, Beuys mit Fett und Filz, Beuys mit dem Kojoten und nach der Ausstellung pilgerten alle zu einer kleinen grünen Rasenfläche auf dem Fabrikgelände des ehemaligen Kohlebergwerks, um, als Reminiszenz zu seiner Kunstaktion der 7.000 Eichen auf der Documenta 1982 in Kassel, gemeinsam eine Eiche im kroatischen Labin einzupflanzen.

Die Baronessa rauchte und redete und redete und rauchte und führte in den kommenden zwei Tagen die zur Eröffnung angereisten Journalisten durch ihre Biennale. Das Konzept der Biennale sei, erläuterte die Baronin, im Gegensatz zu Venedig und all den anderen langweiligen Biennalen in der Welt, eine Durchmischung von Kunst und Lebenswelt, von Stadt und Kunst, von Kunst und ganz gewöhnlichen Bürgern. Kunst sei hier kein Business, keine Verkaufsveranstaltung oder gar seichte Erlebnisökonomie. Die Kunst müsse der Gesellschaft dienen und im Sinne der sozialen Skulptur von Joseph Beuys, in einen kreativen Dialog mit den Bürgern treten. Aus diesem Grunde habe sie, in Zusammenarbeit mit dem Bürgermeister und der Stadtverwaltung, die Kunst in der gesamten Stadt verteilt.

So fuhren wir zur Grundschule, zum Stadtpark, zum Bürgermeisteramt, ins Elektrizitätswerk, auf den Gemüsemarkt, in Bankfilialen und Restaurants – allerorten war die Kunst ausgestellt. Die Baronin, auf Tritt und Schritt von ihrem Diener begleitet, erläuterte die Kunstwerke, rauchte und sprach über Beuys. Die Fotografien, Videoinstallationen, Skulpturen und Gemälde von 64 internationalen zeitgenössischen Künstlern sollten, so die Baronin, in den Alltag der Stadt und in die Köpfe ihrer Bürger eindringen.

Jeder Mensch sei ein Künstler und jeder Künstler müsse der Gesellschaft dienen, sagt die Baronin

Diese Konfrontation von Kunst und Alltag kann jedoch auch zu Missverständnissen führen. Während die Baronessa im Stadtpark eine ihrer leidenschaftlichen und temperamentvollen Reden über die Kraft der Kunst hielt, erzählte mir eine Mitarbeiterin des Bürgermeisteramtes, dass es kurz vor der Eröffnung zu einem kleinen Eklat gekommen sei. Am Denkmal für die gefallenen Widerstandskämpfer gegen den Faschismus im Stadtpark hatte eine Künstlerin Dutzende weißer Papierschmetterlinge auf die Rasenfläche verteilt. Eine Frau von der Stadtreinigung habe gedacht, dass irgendwelche Kinder diese Schmetterlinge in den Park geschmissen hätten, und habe diese entsorgt. Daraufhin mussten die Schmetterlinge mühsam aus dem Müll getrennt und wieder auf die Rasenfläche verteilt werden. Der Baronessa habe man lieber nichts von diesem kleinen Fauxpas erzählt.

Am letzten Abend schauten wir uns noch einen Film über Beuys im örtlichen Kino an. Der Film dauerte 28 Minuten, die Rede der Baronin war doppelt so lange. Das Motto der Biennale laute „Utopie ist gleich Realität“, sagte die Baronin, weil die Utopie jederzeit zur Realität werden könne. Kunst müsse anarchistisch, utopisch, revolutionär, aufwühlend, dialogisch, kritisch, widersprüchlich und avantgardistisch sein, sagte die Baronin, und dürfe sich niemals durch die Gesetze des Marktes weichspülen lassen. Die Kunst, so die Baronin, müsse in die Köpfe und Herzen der Menschen eindringen und diese grundlegend verändern.

Schade nur, dass hier Anspruch und Wirklichkeit nicht zueinander passten. Die ausgestellte Kunst auf der Biennale war, soweit ich es jedenfalls überblicken konnte, bis auf einige wenige Ausnahmen banal, selbstreferentiell, einfallslos und alles andere als avantgardistisch oder gar revolutionär. Aber vielleicht liege ich ja auch falsch. Wissen Sie was, fahren Sie doch einfach hin und machen Sie sich ein eigenes Bild. Es lohnt sich alleine wegen der pittoresken Landschaft. Es gibt Berge, enge Altstadtgassen, das blau schimmernde Meer, Palmen, Zypressen, Pinien, die mediterrane Sonne des Südens und dazwischen die Kunst der Biennale. Und mit ein wenig Glück treffen sie möglicherweise auch noch eine wahrhaftige Baronessa, mit der sie sich prächtig über die Kunst des Joseph Beuys unterhalten können.

Bis 30. September, Labin, Kroatien

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen