: Die Saat ging saftig auf
Wir lassen lesen Ein Buch prophezeit dem Dosenklub RB Leipzig einen „Aufstieg ohne Grenzen“
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von Bernd Müllender
Ein überzuckerter Horror siegt sich Richtung Bundesliga. Ein Kunstprodukt vom Reißbrett, ohne jede Tradition und damit inakzeptabel für jeden Fußballpuristen. Der österreichische Limonadenhersteller Red Bull hat das fremde Wesen 2009 transplantiert: RB Leipzig. Der Klub steht kurz vorm Aufstieg. Wird man ab Mai aus fußballhygienischen Gründen für Bayern München jubeln müssen? In den deutschen Stadien hat Leipzig Dietmar Hopps Hoffenheim längst als Feindbild Nummer 1 abgelöst. Jetzt gibt es – nach einem Bloggerprojekt „111 Gründe . . .“ – das erste Buch zum Klub, passend zum generalstabsmäßig projektierten Durchmarsch.
Das Buch prophezeit ungerührt einen „Aufstieg ohne Grenzen“; es ist von einem Leipziger Sportjournalisten geschrieben. Sind fanhafter Stolz und lokalpatriotische Begeisterung, wie oftmals mächtige Triebwerke des regionalen Sportjournalismus, federführend gewesen? Die freudig formulierte Entstehungsgeschichte des Kunstklubs nährt solche Befürchtungen. Es geht um juristische Volten, tumbe Verbände, clevere Deals. Ein Märchen, angereichert um den menschelnden Mythos, dass ein Leipziger Elektriker, Fan des FC Sachsen, 2006 den Erstkontakt zu Red Bull aufnahm, nachdem er sich die Konzernadresse von einer Dose abgeschrieben und handschriftlich um Unterstützung nachgefragt hatte. Drei Jahre später: „Red Bull beißt an.“
Warum Leipzig? Unter den vielen Protagonisten spielt auch Franz Beckenbauer als Einflüsterer des milliardenschweren Brausebosses Dietrich Mateschitz mit: „Beckenbauer hat Leipzig ins Spiel gebracht“, wird ein Vertrauter zitiert. Und da ist der Stadionbesitzer von Leipzig, Michael Kölmel, der seit 1998 diverse Investments im deutschen Fußball gestartet hat und meist erfolglos auf Vermarktung drängte. Hier, in der verwaisten WM-Arena, ging seine Saat saftig auf, anders als bei Regionalligavereinen wie Alemannia Aachen oder Rot-Weiss Essen.
Die Gründung des Feindgebildes RB verlief grotesk, begleitet von abenteuerlichen Pannen, Indiskretionen und drei Jahre verzögert. Dann endlich konnte sich der Klub über einen Teillizenzendeal und eine Teilfusion mit dem Fünftligisten SSV Markranstädt („Sturzgeburt“) gründen. Als Taufnamen des Fußballfindelkinds wählte man RasenBallsport, das Baby hätte aber auch RollenderBall heißen können oder RenditeBeschaffung. Hauptsache RB. „Sponsorenaffiner Vereinsname“ heißt das in der Marketingwelt.
Gleich in den ersten Tagen gab es ein Säureattentat auf dem danach unbespielbaren Rasen, Testspielabsagen wegen Randaleangst, die Drohung mit einem Brandanschlag. Es setzte Boykotts, Schmähungen, gallige Beleidigungen der Spieler, Steinwürfe – der empörte Klub konnte sich als Opfer fühlen. Auf einem Fantransparent stand: „Red Bull – verdient Prügel“.
Das Buch ist tiefeninformativ, keine Frage. Intensiv recherchiert. Voller Anekdoten. Mit wunderbaren Geschichten aus dem ostdeutschen Fußballniemandsland. Kritik am Übernahmecoup ist rar. Da ist etwa das Interview mit dem früheren DFL-Geschäftsführer Christian Müller, der empört von „einem Dammbruch“ spricht, von groben Fouls, Tricks und einem Vereinskonstrukt, das sich „über das Regelwerk des Fußballs ungeschoren hinweggesetzt“ habe.
Autor Kroemer ist „angetan“ vom „Fußball-Ufo“, das vor seiner Haustür landete, und lobpreist das „Bauchgefühl des Unternehmers Mateschitz“. Mit dem Waffenarsenal ökonomischer Moderne wird es weitergehen: Von Synergieeffekten ist die Rede, strategischen Partnerschaften, Effizienzprozessen. Klub-TV und Stadionerweiterung sind geplant. Trainer Ralf Rangnick, „Chefdesigner“ genannt, verspricht „Evolution in allen Bereichen“. Doch RB ist Hassobjekt und Sündenbock für die Vollkommerzialisierung des Fußballs. Da möchte man ausschließen, dass Red Bull oder RasenBallsport den Autor für dieses Buch auf die eine oder andere Dankesbrause eingeladen hat. Also: Flossen mögliche Drittmittel? Der Verlag teilt auf Nachfrage mit: „Interessante Frage. Haben wir uns bisher bei unseren Projekten nie vertraglich zusichern lassen.“ Der Autor selbst lacht: „Nein, nichts, da können Sie sicher sein.“ Beruhigt lesen wir den beunruhigenden Satz: „Beim Wachstum von RB Leipzig gibt es so gut wie keine Hindernisse, die der Klub nicht überwinden könnte.“
Ullrich Kroemer: „RB Leipzig – Aufstieg ohne Grenzen“. Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2016, 176 Seiten, 14,90 Euro
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