piwik no script img

„Ich habe keine Angst – vor gar nichts“

Die saudi-arabische TV-Moderatorin Rania al-Baz wurde von ihrem Mann fast zu Tode geprügelt. Sie hat veröffentlicht, was ihr geschehen ist – und als erste Frau in Saudi-Arabien ein Buch über Gewalt gegen Frauen geschrieben

taz: Frau al-Baz, vor eineinhalb Jahren sind Sie von Ihrem Ehemann misshandelt worden und nur knapp dem Tode entronnen. Wie geht es Ihnen heute?

Rania al-Baz: Körperlich immer besser. Aber ich würde lügen, wenn ich sagte, psychisch sei ich total geheilt. Da ist noch viel Trauer und Schmerz.

Sie haben ein Buch darüber geschrieben. Hat Ihnen das geholfen?

Das Schreiben hat mich von dem Schock befreit. Und es war mir ein Trost, als das Buch veröffentlicht war.

Sie sind die erste Frau aus Saudi-Arabien, die über Gewalt gegen Frauen dort schreibt.

Eheliche Gewalt gegen Frauen gibt es überall auf der Welt. Ich habe über meine persönliche Erfahrung geschrieben.

Sie sind den Behörden in Saudi-Arabien ein Ärgernis. Man hat Sie am Flughafen an der Reise nach Paris gehindert. Sie mussten Saudi-Arabien auf dem Landweg verlassen.

Ich habe dagegen beim Innenminister geklagt. Ich warte jetzt auf die Antwort.

Sie sind sehr vorsichtig.

Ich habe keine Angst – vor gar nichts. Aber Sie haben eine falsche Idee von der Einschüchterung in meinem Land. Das entspricht nicht der Realität.

Es gibt auch in Europa Gewalt gegen Frauen. Aber in Saudi-Arabien hat es bis heute gedauert, dass jemand öffentlich diese Gewalt anprangert. Warum?

Die Frauen dort haben den Eindruck, dass sie einen Gegner haben, der stärker ist als sie: den Mann. Sie schweigen, als ob sein Sieg von vornherein feststünde. Ich habe dieses Gefühl nicht. Also habe ich geschrieben.

In Ihrem Buch beschreiben Sie Frauen in Saudi-Arabien als rechtlos: „Eine Frau ist nichts.“

Saudi-Arabien ist ein schwieriges, widersprüchliches Land. Mit guten und mit vielen negativen Seiten. Aber die Lage ist nicht schlimmer als anderswo.

Immerhin hat die Scharia Gesetzesrang. Das Patriarchat ist die Basis der Politik.

Es stimmt, dass den Frauen in Saudi-Arabien vieles verboten ist: Sie dürfen nicht reisen und nicht arbeiten. Aber all das steht nicht in der Scharia. Die Frau des Propheten, Aisha, durfte ein Kamel benutzen.

Und?

Wenn Frauen das Autofahren verboten wäre, hätte Aisha nicht auf ein Kamel steigen dürfen.

Der Islam ist also besser als sein Ruf?

Es gibt eine Reihe von Dingen, die dem Islam zugeschrieben werden, die aber sehr weit von der islamischen Scharia entfernt sind.

Wer ist für die Lage der Frauen in Saudi-Arabien verantwortlich?

Der König zuvörderst. Die ganze Regierung. Und die Traditionen und Gebräuche.

Was muss sich in Saudi-Arabien ändern?

Ziemlich viel. Ich verlange totalen Respekt vor der Frau. Damit es keinen Mann gibt, der die Hand gegen sie erhebt.

In Saudi-Arabien dürfen Frauen nicht wählen. Bei Erbschaften bekommen sie nur halb so viel wie Männer. Verlangen Sie die Gleichheit von Mann und Frau vor dem Gesetz?

Ich möchte eines Tages ein Auto fahren. Ich möchte auch das Wahlrecht. Und gleichen Zugang zur Arbeit. Es soll keinen Unterschied zwischen Mann und Frau geben. Das ist Freiheit.

Die Ungleichheit von Frau und Mann vor dem Gesetz ist eine Grundlage des Regimes. Kann das Regime an der Macht bleiben, wenn es Frauen die gleichen Rechte zugesteht?

Sie stellen schwierige Fragen. Wenn die Frauen keine gleichen Rechte bekommen, wird es jedenfalls keine Veränderung geben.

Werden Sie nach Saudi-Arabien zurückkehren?

Inschallah. Das ist mein Land. Ich habe dort drei Kinder. Meine Mutter. Meine Familie.

Sie stammen aus der saudi-arabischen Elite. Was haben Sie gemeinsam mit Mädchen aus Einwandererfamilien in Frankreich, die der feministischen Vereinigung „Ni pute ni soumise“ (dt. „Weder Nutte noch unterwürfig“) angehören?

Wir sind alle Frauen.

Sie arbeiten jetzt mit „Ni pute ni soumise“ eng zusammen. Was tun Sie dort?

Es ist verboten, eine solche Vereinigung in Saudi-Arabien zu gründen. Und natürlich schockiert der Name. Aber ich sorge dafür, dass die Arbeit dieser Vereinigung in der arabischen Welt bekannt wird. Aber bei „Ni pute ni soumise“ gibt es auch Französinnen. Ich bin bereit, allen Frauen zu helfen, die Opfer von ehelicher Gewalt sind.

Wenn Sie in Frankreich sind, tragen Sie kein Kopftuch. Was halten Sie von dem Verbot, an den hiesigen Schulen ein Kopftuch zu tragen?

Für mich ist das Kopftuchtragen eine individuelle Freiheit. Ich bin nicht für ein Verbot. Aber nach dem, was ich verstanden habe, will man in Frankreich an der Schule verhindern, dass es Ungleichheiten zwischen den Religionen gibt. Im Augenblick habe ich keine Lust, das Kopftuch zu tragen. Also trage ich es nicht. Ich trage das Kopftuch, um Gott zu gefallen. Nicht aus anderen Gründen.

Gilt das auch andersherum? Weil das Kopftuch eine individuelle Freiheit ist, ist es falsch, dass saudi-arabische Frauen verpflichtet sind, es zu tragen?

Da sind mehr Freiheiten nötig. Umso mehr, als auch Ausländerinnen es tragen müssen. Aber wenn ich das in Saudi-Arabien in der Presse sagen würde, liefe ich Gefahr, umgebracht zu werden.

Fühlen Sie sich ohne Kopftuch anders?

Ich fühle mich natürlicher. In Saudi-Arabien trug ich es auch nur im Fernsehen.

Wie sieht eine ideale Gesellschaft für Sie aus?

Es gibt keine ideale Gesellschaft. Ich möchte eine Gesellschaft, in der ich nicht gewaltsam behandelt werde, bloß weil ich eine Frau bin.

INTERVIEW: DOROTHEA HAHN

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen