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Archiv-Artikel

Eine Schule für die Generation Visionen

KLIMAGIPFEL Ein Elfjähriger pflanzt mit einer Schüler-NGO Millionen Bäume. Wichtigster Mitstreiter ist eine visionäre Schule in Berlin

Am Leben lernen …

… heißt das Prinzip der Evangelischen Schule Berlin Zentrum. Die Gemeinschaftsschule ist der Hauptakteur der Baumpflanzaktion „plant for the planet“. Die Schüler haben zusammen mit Partnerschulen allein in Berlin 30.000 Bäume gepflanzt. Ziel ist es, in ganz Deutschland eine Million Bäume zu setzen. Die Schule lebt prototypisch vor, was es heißt, neben modernen Unterrichtsformen Kindern eine Vision zu vermitteln – Frieden, Demokratie und die Zukunft des Planeten. Die Schüler demonstrierten in Hamburg für ein Klimaabkommen (Foto unten), sie interviewten den Nobelpreisträger Muhammad Yunus (oben), und sie begleiten am Montag den Kopenhagen-Gipfel im Berliner Radialsystem. Sie versteigern dort künstlerische Faxe für „plant fo the planet“. www.art-e-fax.de

AUS HAMBURG UND BERLIN CHRISTIAN FÜLLER

Peter Maffey lächelt nur beseelt auf der Bühne. Und der Moderator des ZDF hat die Gala schon für beendet erklärt. Da fast sich die kleine Hannah ein Herz und nimmt in der Aula der Hamburger Industrie- und Handelskammer noch mal das Mikro. Vor etwa 300 Gästen.

„Herr Bürgermeister“, sagte die Zehnjährige, „sie verleihen hier schöne Preise, aber davon allein geht es dem Klima nicht besser. Wenn Sie etwas für den Klimaschutz tun wollen, dann stoppen Sie den Bau des Kohlekraftwerks Moorburg in ihrer Stadt.“

In der Handelskammer des Hansestadt werden gerade die B.A.U.M.-Preise vergeben, die Trophäen des Bundesdeutschen Arbeitskreise für Umweltbewusstes Management, kurz B.A.U.M. Und das feine Publikum mit Goldknöpfen und ulkigen Hüten ist so vom Hauptpreisträger begeistert, dass sie gegen den eigenen Bürgermeister klatschen – auf dass er Moorburg abschalte.

Der Toppreisträger der umweltbewussten Manager ist elf Jahre alt. Er heißt Felix Finkbeiner und ist buchstäblich dabei, die Welt zu verändern. Bei einem Schulreferat über Wangari Maathai, die Friedensnobelpreisträgerin, hatte er eine verrückte Idee. So wie Maathai das größte Aufforstungsprojekt Afrikas ins Leben rief, dachte sich Felix: Ich will auch Bäume pflanzen! Aus dieser Idee hat Felix (zusammen mit der Global Marshall Plan Foundation) eine echte Schüler-NGO gemacht, die Bewegung „plant for the planet“. In 56 Staaten pflanzen Kinder Bäume. In jedem Land wollen sie eine Million Bäume setzen.

Wie kann ein Elfjähriger Millionen Bäume pflanzen und nun sogar Druck auf den Klimagipfel in Kopenhagen ausüben? Ganz einfach, Felix ist nicht allein. Nicht auf der Bühne in Hamburg, wo 20 Kinder in „plant for the planet“-Shirts Sätze wie diesen sagen: „Wir Kinder wollen nicht als die Generation in die Geschichtsbücher eingehen, die alle Küstenstädte unter Wasser gesetzt hat, sondern als die, die die größte Herausforderung der Menschheit gelöst hat.“

Die Schüler kommen von der Evangelischen Schule Berlin Zentrum, einer Schule, die auf eine NGO wie die von Felix Finkbeiner gewartet hat. Denn auch diese Schule will den Planeten retten. Was ihre Schüler beim Bäumepflanzen oder einer Preisverleihung in Hamburg erleben, ist das, was ihre Rektorin Margret Rasfeld „Lernen am Leben“ nennt. „Wir brauchen heute kein künstliches Lernen mehr, dafür sind die Probleme zu groß, die unser Planet hat. Deswegen versuchen wir Lernen mit Ernstcharakter zu praktizieren. Schluss mit dem Als-ob-Lernen.“

Zunächst ist die drei alte Jahre Schule in Berlin eine innovative Schule. Anders als die Stifter des Lehrerpreises (siehe Text unten) hat sie einen Begriff von innovativem Lernen. Er heißt: individuelles, selbständiges Lernen.

Um das zu erreichen, hat die Schule ihren Stundenplan umkrempelt. Es gibt hier keinen Fachunterricht mehr, der im 45-Minuten-Takt abläuft, sondern verschiedene Lernformate. Sie sind fast immer mehrstündig. Das Lernen teilt sich in verschiedene Phasen. Sie unterscheiden sich nicht nach Mathe oder Deutsch, sondern danach, wie selbständig der Schüler arbeiten kann – und der Frage, ob im Team gearbeitet wird oder allein.

Der Tag beginnt zum Beispiel mit dem „Lernbüro“. Dort stehen die Hauptfächer Deutsch, Mathe, Englisch oder „Natur und Gesellschaft“ auf dem Programm. Die SchülerInnen können selbst wählen, wann sie in welches Fach gehen – und wann sie ihre Bausteine bearbeiten und von den Lehrern abfragen lassen.

„Der Bundestag beschließt die Agenda 21 – und 99 Prozent der deutschen Schulen interessiert das nicht!“

MARGRET RASFELD

Es gibt auch noch die Werkstatt, wo jeder Schüler insgesamt vier Stunden pro Woche Zeit hat, seinem eigenem Interesse und seinen Neigungen nachzugehen. Es gibt auch noch Projektlernen, die Klassenstunde, den Klassenrat – und Tutorengespräche mit Beratungslehrern.

Die entscheidende Innovation der Evangelischen Schule liegt aber gar nicht darin, dass in Berlins Zentrum ein neues Lernen praktiziert wird. Margret Rasfeld geht es nicht um pädagogische Kniffe, sondern um Ziele: Wozu lernen wir? Wozu sind wir überhaupt da? Was sind die Herausforderungen der Zukunft?

„Die Kinder und die Jugendlichen sind doch diejenigen, die sich über so etwas noch am meisten Gedanken machen“, sagt Margret Rasfeld. „Warum sollten wir sie daran hindern, indem wir sie in einen Lehrplan einsperren und ihnen von außen die Lernaufgaben des vergangenen Jahrhunderts stellen.“ Rasfeld begreift eine Schule tatsächlich als ein Labor, in dem junge neugierige Menschen die Fragen nach der Zukunft des Planeten stellen.

Einer der Inhalte, die regulär im Stundenplan auftauchen, ist die Agenda 21, die Tagesordnung für das 21. Jahrhundert. Margret Rasfeld legt ein Dokument auf den Tisch, das niemand anderes als der Deutsche Bundestag beschlossen hat. Darin steht, „dass die Menschheit an einem entscheidenden Punkt ihrer Geschichte steht“. Für Rasfeld ist das keine Lyrik. „Wir können gute Schule nicht nur mit ausgefeilter Didaktik machen. Die Kinder brauchen Ziele, Visionen, Utopien.“ Dann holt sie noch mal die Agenda 21 heraus. „Es ist zwingend erforderlich, dass Jugendliche aus allen Teilen der Welt auf allen für sie relevanten Ebenen aktiv an den Entscheidungsprozessen beteiligt werden“, steht da. Rasfeld legt das Dokument zur Seite. Dann sagt sie: „Wie kann es sein, dass der Bundestag so etwas beschließt und sich Initiativen, Behörden Unternehmen dieses Ziel teilen – und 99 Prozent aller deutschen Schulen tun es nicht?“