: Leckerbissen Unkraut
Exotische Geschäftsidee hat Erfolg: Wildkräuter anbauen. Vor allem Spitzenköche begeistern sich für das Unkraut
GREIFSWALD taz ■ Sauerklee, Brennnessel, Spitzwegerich oder Vogelmiere – des einen sein Unkraut ist des anderen Geschäft. Essbare Landschaften GmbH heißt die Firma von Olaf Schnelle und Ralf Hiener, die in der Nähe von Stralsund mittlerweile zehn Leute beschäftigt. Die Geschäftsidee ist bundesweit einmalig und dennoch uralt; schon früher wurden Wildkräuter in den Läden verkauft. Vor etwa hundert Jahren wandelte sich das Angebot dann, als Obst in die Geschäfte drängte und die Feldkräuter als Vitaminlieferanten ablöste. „Da ist viel Wissen verloren gegangen“, sagt Schnelle, der Gartenbauingenieur ist.
Vom „Le Jardin de France“ in Baden-Baden über das Berliner „Ritz“ bis zum „Blauen Salon“ von VW – die Referenzliste der Essbaren Landschaften deckt sich ungefähr mit den Wirkungsstätten deutscher Spitzenköche. Mittlerweile bauen die „Essbare Landschaften“ über 80 verschiedene Kräuter an. Die wöchentliche Sortimentliste umfasst zwei klein bedruckte Seiten, auf denen neben einheimischem auch internationales Unkraut zu finden ist: chinesischer Senf und Brennnessel, Bunter Mangold und Speisechrysanthemen. Die Spezialitäten werden vom Gut Boltenhagen derzeit in über 500 Restaurants deutschlandweit verschickt – auch kurzfristig über Nacht.
Für diesen Versandhandel ist der Standort nicht unbedingt günstig: Die Gärtnerei liegt im äußersten Nord-Osten Deutschlands. „Es gab zwei Gründe, sich gerade hier anzusiedeln“, sagt Schnelle: „Die Arbeitslosigkeit und zusammengebrochene Agrarstrukturen.“ Die Pommern seien sich nicht zu schade, „Arbeit zu verrichten, bei der die Hände dreckig werden“. Außerdem habe man in Zentral- und Westdeutschland keine geeignete Immobilie gefunden.
Dabei ist diese Firma blanker Zufall. Eigentlich war Schnelle aus Thüringen nach Vorpommern gekommen, um Pflanzenklärwerke etwa aus Schilf zu bauen. Als das Geschäft immer schlechter lief, begann er sein Hobby zu vermarkten. Mit 17 Jahren hatte Schnelle einen Film über den Berufsabenteurer Rüdiger Nehberg gesehen, der von Hamburg nach München wanderte und dabei aß, was die Natur ihm bereitstellte. Das faszinierte Schnelle, der fortan alles ausprobierte, was essbar in der Landschaft wuchs. Und es kultivierte. Schnelle bot Edelrestaurants an der Ostsee Brunnenkresse, Sauerklee und sein Würzwissen an. Schon in den ersten 24 Stunden meldeten sich mehrere Wirte – am schnellsten war der Koch Ralf Hiener, der nun sein Partner ist.
Nicht nur Edelköche profitieren. Wer will, kann ab 25 Euro via Internet Essbare Landschaften bestellen. Dabei liefert die Ökogärtnerei bei Bedarf auch gleich Rezepte in Buchform mit.
NICK REIMER