: Berlin ist nicht New York
Öffentlicher Raum Dichter bauen? Weite lassen? Die Ausstellung „DEMO:POLIS“ wirft Grundannahmen über den Haufen und fragt, wie Bewohner Städte gestalten können
von Susanne Messmer
Berlin wird immer dichter. Wer Lust hat, dem zum Trotz mal wieder das Gefühl zu haben, im Vergleich zum Rest der Welt allen Platz der Welt zu haben, der muss sich nur dieses Bild von New York mit dem gerade im Bau befindlichen Brooklyn Bridge Park ansehen. Oder eine Videoarbeit des portugiesischen Künstlers Nuno Cera, der mit seiner Kamera in den Metropolen der Welt auf der Suche nach öffentlichem Raum war: in Schanghai etwa, wo Menschen nur auf futuristischen Fußgängerbrücken hoch über der Stadt vorzukommen scheinen – als gehetzte Passanten, die keinen Platz und keine Wiese haben, um zu verweilen, geschweige denn sich zu versammeln.
Die Ausstellung „DEMO:POLIS – Das Recht auf Öffentlichen Raum“, die heute in der Akademie der Künste eröffnet wird, befasst sich mit dem Umgang mit öffentlichem Raum auf der ganzen Welt, also damit, wie demokratisch die Städte durch ihre Bewohner gestaltet werden, wie Künstler dies beobachten und wie – unter dem Stichwort „Visionen“ – Studierende vierer Hochschulen in Potsdam und Berlin in die Zukunft blicken.
Dabei nimmt Berlin nicht nur deshalb einen großen Raum in der Ausstellung ein, sondern weil besonders im internationalen Vergleich deutlich wird, wie viel in dieser Stadt vergleichsweise noch immer möglich ist. Mehr denn je mischt sich die Öffentlichkeit ein, wenn es um Nachnutzung geht – natürlich kann so eine Ausstellung nicht ohne die Präsentation der Initiative 100 % Tempelhofer Feld auskommen. Trotz zunehmender Bebauung und kommerzieller Nutzung öffentlichen Raums nehmen Menschen Orte in Besitz, initiieren Gärten, Strandbars, Pocket-Parks.
„DEMO:POLIS – Das Recht auf Öffentlichen Raum“ wird heute um 20 Uhr eröffnet. Bis 29. Mai, Di. 14–22 Uhr, Mi. bis So. 11–19 Uhr. Es gibt einen Katalog und ein vielfältiges Veranstaltungsprogramm, zum Beispiel Symposien und eine 36-stündige Konferenz zum Thema „Public Space: Fights and Fictions“. Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, S-Bahnhof Bellevue. Mehr Informationen unter www.adk.de/demopolis
Darum ist es nur folgerichtig, dass die Ausstellung an vielen Stellen erst noch gemacht werden wird, und zwar von den Besuchern: An einer Stelle dürfen sie am PC eine Vision der historischen Mitte Berlins entwerfen und dabei auch gern das Humboldtforum wieder ausradieren. An einer anderen sollen sie in fünf Sitzungen im eigens gezimmerten Amphitheater gemeinsam mit Experten eine Stadtrechtcharta ausarbeiten, die Kurator Wilfried Wang am Ende an die Politik überreichen wird.
Die zentrale Fragen der Ausstellung sind: Werden die öffentlichen Räume, auf denen Demokratie gelebt wird oder – Stichwort Arabischer Frühling – für Teilhabe gekämpft wird, genug geschützt? Spielt öffentlicher Raum eine ausreichend große Rolle in der Stadtplanung?
Architekt Bernd Albers analysiert am Beispiel Spreebogen, dass dem nicht so ist. Tatsächlich ist da viel Wiese, die niemand nutzt. Der Umgang mit öffentlichem Raum sei in Berlin zu sorglos, es gebe sogar nach wie vor zu viele öffentliche Freiflächen bei einem „gleichzeitigen Defizit an hochwertigen Plätzen“. Aber stimmt das auch?
Es ist ein großes Plus der Ausstellung „DEMO:POLIS“, dass jede Grundannahme, die sie trifft, drei Meter weiter wieder über den Haufen geworfen wird. Überschätzen sich Architekten und Stadtplaner nicht manchmal, machen lebendige Orte kaputt und tote Orte noch toter, indem sie sie verändern?
Wäre es also nicht auch einfacher, Plätze, die einmal funktionieren, zu lassen, wie sie sind? So jedenfalls legt es die Ausstellung nahe, indem sie die Geschichte des Place Léon Aucoc in Bordeaux erzählt. Bei diesem Platz geschah etwas, was selten geschieht: Die Architekten Lacaton & Vassal, die diesen Platz designen sollten, gaben den Auftrag zurück. Der Platz sei in Ordnung, meinten sie. Schöne Bäume, Bänke, schlichter Kies: Was will man mehr?
Eine solche Lässigkeit würde Berlin trotz oder gerade auch wegen seiner vielen Möglichkeiten manchmal ganz guttun.
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