Pop Eine Begegnung mit Helen Feng, Frontfrau der Pekinger Band Nova Heart
: Die Erben erneuern den Sound Chinas

Initiation beim Punkkonzert. Helen Feng steht im Vordergrund, in ihrer Band Nova Heart sowie auf diesem Foto Foto: Promo

von Jens Uthoff

Es gab einen Moment im Leben von Helen Feng, ohne den sie heute nicht hier beim Interview in Berlin säße als eine Art Popbotschafterin aus der Volksrepublik. 2002 war dieser Moment, Helen Feng war damals Redakteurin und Moderatorin von MTV China. Gelangweilt von den immer gleichen Popsternchen, drehte sie eine Reportage über Skaten in China. Als sie erste Kontakte in die Szene hatte, sagte ein Typ zu ihr: „Komm doch mal mit zu einer Punkrock-Show.“

Das tat sie. „Was ich da sah, war ...“ Helen Feng wackelt im Ledersessel hin und her. Sie gestikuliert. „Meine Augen waren so: Bling!“, sagt sie.

Was sie sah? Eine tobende Menge und Stagediver. Tätowierte Menschen. Dinge, die sie bis dato in China nicht für möglich gehalten hatte. „Kurz darauf drehten wir die erste Dokumentation über Punk in China überhaupt“, sagt Feng. Es war wie ihre ganz eigene Kulturrevolution.

Von rohen Punkklängen ist die Musik, die Helen Feng heute mit Nova Heart spielt, weit entfernt. Mit ihrer 2011 gegründeten Band, die nun für zwei Konzerte nach Deutschland kommt, steht sie für kühle elektronische Popmusik – clean, soft, düster. Dennoch beschreibt die 37-Jährige, von einem Pekinger Stadtmagazin 2014 zu einer der bedeutendsten Persönlichkeiten der chinesischen Hauptstadt auserkoren, das Eintauchen in den Underground wie ein Initiationserlebnis. Sie begann, Musik zu machen. Zunächst Punk mit Ziyo, später elektronischere Klänge mit The Pet Conspiracy.

Posher Pony

Die Bedeutung der Independent-Kulturen sei seither eher gewachsen: „Was gerade heute jede einzelne Kultur, nicht nur die chinesische, wirklich braucht, sind unabhängige Subkulturen, die sich außerhalb des Mainstreams bewegen, der den Geschmack und die Vorlieben diktiert“, sagt sie, als von der heute boomenden Indie- und Popszene in Peking und China die Rede ist.

Moment. Eine quicklebendige Pop-Szene? Und unabhängig? Wie soll das gehen in einem Land, das für Internet-Zensur und Repressalien gegenüber Künstlern – siehe Ai Weiwei – bekannt ist?

Helen Feng versucht aufzuklären. Der dunkel gekleideten Chinesin – schwarzes Hemd, schwarze Hose, schwarze Haare mit poshem schnurgeraden Pony – merkt man die Entertainmentvergangenheit an. Sie spricht Sätze in einem Tempo, in dem andere atmen. Sie ironisiert, benutzt pointierte Sprachbilder. Etwa, wenn sie das Regime mit der Reiszubereitung im Druckkochtopf vergleicht. „Wenn der Druck innen zu groß wird, lassen sie ein bisschen ab. Wichtig ist nur, dass der Druck im Kessel hoch genug bleibt.“

Über Zensur aber rede sie eigentlich nicht so gern. „Ich habe nicht ein einziges Interview für westliche Zeitungen gegeben, in dem dies nicht Thema gewesen wäre. Deshalb bin ich ein bisschen gepisst. Denn was soll ich sagen? Ja, es gibt eine bestimmte Form von Zensur. Und: Nein, sie ist wirklich nicht sehr effektiv.“ Ihrer Band, die ihr Artwork und ihre Lyrics einreichen müsse, komme es mehr wie ein bürokratischer Akt vor. Probleme habe es nie gegeben.

Seit 2010 betreibt die in der Mongolei und den USA aufgewachsene und später nach Peking zurückgekehrte Feng das Label Fake Music Media, auf dem auch Nova Heart veröffentlicht. Bedenken, überwacht zu werden? „Dann wären die Behörden sehr beschäftigt im Moment, denn es ist eine Menge los“, sagt sie und lacht. „Sie sollten lieber Tetris spielen, das ist effizienter.“

Obwohl sie zynisch auf westliche China-Stereotype reagiert, berichtet sie auch von Repressionen gegenüber Politaktivisten und Künstlern. Nur gegen Schwarz-Weiß-Narrative hat Feng etwas.

Nova Heart besteht neben ihr noch aus Bassist Bo Xuan, Drummerin Shi Lu und dem Produzenten Rodion aus Rom. Die Band setzt nicht auf allzu eindeutige Inhalte. „Sloganhaftigkeit gehört zu den Dingen, die ich am meisten fürchte“, sagt Feng, „wir kommen mehr über die Stimmung und die Atmosphäre.“ Der coole, glasklare Sound klingt mal nach dem Postpunk von Gang Of Four, dann nach der Sexyness von Gossip. Als „absolut apokalytisch“ beschreibt Feng das im vergangenen Herbst erschienene, selbst betitelte Album. „Wir alle hatten Trennungen und schwierige Zeiten in unseren Leben hinter uns.“ Dennoch oder deshalb benenne es auch gesellschaftliche Zustände.

In der Tat wirkt die Kritik auf diesem Album eher wie beiläufig dahingeworfener Gegenwartsekel. „Children Children your laughing so cynical/ Did you believe them, these lies that they told you so“, beginnt der Song „Starmaker“. Er handelt unter anderem von der Entscheidung, ob man sich in ein „Bett aus Lügen“ fallen lasse – oder aufstehe. In „Queen is Dead“, eine Referenz an The Smiths, singt Feng: „Take as much as you can“. In Dauerschleife, bored. Aber, nicht missverstehen bei all den Achtziger-Bezügen, gleichzeitig klingt der Sound zeitgenössisch. Auch das Patti-Smith-Cover „Dancing Barefoot“ ist sehr 2016.

Angst, überwacht zu werden?

„Dann wären die Behörden sehr beschäftigt im Moment. Sie sollten lieber Tetris ­spielen, das ist effizienter“

Helen Feng

Ganz neue Dynamik

Nova Heart begann als Mail-Kollaboration zwischen Produzent Rodion und Feng. Eine EP entstand in dieser Zweierbesetzung, aber man war nicht ganz zufrieden: „Als die Band dazukam, gewann es eine ganz neue Dynamik“, sagt Feng. Fertig gemischt hat das Album Rusty Santos, der schon mit Animal Collective zusammenarbeitete. „Zunächst klang das Album sehr grungy und Lo-Fi“, Santos habe das Elektronische mehr betont.

Wenn es um politische und kulturindustrielle Themen geht, wird Feng auch nach einer Stunde Interview erst richtig wach. In China sei es üblich, dass jede Band Sponsoren habe wie ein Fußballteam – auch Nova Heart. Wenn die Musikindus­trie sich weiter so entwickle, sei Popkultur auch gar nicht anders möglich. „Wenn die digitalen Dienstleister nicht beginnen, vernünftig zu zahlen, werden wir den Tod der Musik erleben.“

In Peking erlebt die Kreativ- und Livemusikszene aber gerade ein Hoch. Hört man Bands wie die Slowrocker von Hedgehog, das Postpunk-Trio Re-TROS oder die Experimentalrockband Snapline, so wirkt die Szene vielfältig. In vielen Gruppen spielen, das am Rande, wie selbstverständlich Frauen mit.

Die Punkszene von 2002, die mit den Startschuss dafür gab, sei einigermaßen tot, sagt Feng. Die Erben dieser Generation aber erneuern gerade den Sound Chinas.

Nova Heart:„Nova Heart“ (Staatsakt/Rough Trade), 6. 3. Berlin, Kantine am Berghain, 9. 3. Hamburg, Hafenklang