piwik no script img

Entstaubte Warteschleife

Durchgefeudelt Stefan Pucher inszeniert Samuel Becketts „Warten auf Godot“ am Thalia Theater erfreulich ehrfurchtslos. Und öffnet das Stück für aktuelle Interpretationen

Für Erfrischung sorgt ein tolles Ensemble: Jens Harzer, Jörg Pohl und Oliver Massilon, im Film: Mirco Kreibich   Foto: Armin Smailovic

von Robert Matthies

Da warten sie schon wieder, hängen herum, schlagen sich mit dummen Witzchen und vagen Weltdeutungen die gottverlassene Endzeit tot. Denn er kommt ja nicht, das wissen längst alle. Auch in Stefan Puchers Inszenierung von Samuel Becketts „Warten auf Godot“, die jetzt am Thalia Theater zu sehen ist, gibt es für Wladimir und Estragon keinen Ausweg aus der paralysierenden Monotonie des Nichtstuns, keine Rettung vom Zwang zum Warten auf die immer wieder aufgeschobene Ankunft des Erlösers.

Aber wie Pucher das thea­trale Auf-der-Stelle-Treten auf der Bühne einrichtet, das ist alles andere als Erstarrung in Ehrfurcht vorm großen Klassiker des absurden Theaters: ein gelungener Versuch, den in der langen Inszenierungsgeschichte angesetzten Staub zumindest ordentlich aufzuwirbeln, dem Stück seine Leichtigkeit zurückzugeben und die in all dem Unglück steckende Komik herauszukitzeln. Treue also statt Ehrfurcht: Nichts hasste Beckett mehr als sentimentale Tränenseligkeit.

Dass jede Auseinandersetzung mit „Warten auf Godot“ dabei notwendig eine Gratwanderung am Sinnabgrund bleiben muss, daran lässt schon Stéphane Laimés Bühnenbild keinen Zweifel. Hunderte von Europaletten hat er unter einem als Leinwand für kurze Videointermezzi dienenden Himmelnichts übereinandergestapelt – ein karges zerklüftetes Gebirge als Spielplatz für eine Bühnenchoreografie, die vor allem Raum für neue Assoziationen schaffen möchte. Und dabei genug Ecken, Kanten und Plateaus bietet, über die Pucher sein Personal immer wieder klettern, straucheln, stolpern, stürzen und wieder klettern lässt.

Darauf werden Wladimir und Estragon zu herumlungernden Männerfreunden in Streetwear und Sneakers, Figuren irgendwo zwischen chillenden Jugendlichen – die irgendwann tatsächlich einfach „eine andere Platte auflegen“ – und zeitlosen, zwischen die Räder der Zeit geratenen Gestrandeten von woher auch immer. Dass er das Stück nicht als abstrakte Metaphysik-Übung versteht, sondern als Folie für aktuelle Bezüge, das macht Pucher immer wieder klar.

Erfrischender Zeitvertreib

Dabei ist es vor allem das akribisch aufeinander abgestimmte Spiel von Jens Harzer, der den Wladimir als zynisch-abgeklärt hamburgernden Straßenphilosophen nebst Nerdbrille gibt, und Jörg Pohl als unbekümmert-einfältigem Estragon, die die Erbarmungslosigkeit des Wartens zum erfrischenden Zeitvertreib werden lässt.

Umso brutaler lässt Pucher das im zweiten Teil jedes Aktes auftretende ungleiche Paar Pozzo und Lucky erscheinen. Im grobkörnigen verwackelten Schwarz-Weiß-Film kündigt sich ihr Erscheinen an: Oliver Mallison als selbstgefälliger Sadist Pozzo in schwarzer Rocker-Lederkluft, der Mirco Kreibich als seinen traumatisierten und mit absurd viel Gepräck behängten Träger-Diener Lucky mit der Peitsche einen Feldweg entlangtreibt. Der erinnert in seinem schwarzen Umhang ebenso an jene Fotos aus dem US-amerikanischen Foltergefängnis Abu Ghraib wie an aktuelle Bilder von Flüchtenden.

Immer wieder lockert Pucher das strenge Wortkorsett Becketts mit Episoden, Filmen und Musik auf, die einzelnen Momenten eine beeindruckende Intensität verleihen. Dabei gelingen ihm die stärksten Szenen. Etwa wenn Mirco Kreibich entkleidet und blutverschmiert wie der Gekreuzigte als Lucky „denkt“ und einen wahnfiebernd-ichlosen Monolog über Wissenschaft, Theologie und Kunst ins Mikro stammelt, wobei sich über die Schauspieler auf der Bühne zeitversetzte Filmaufnahmen derselben Szene legen.

Das ist die große Stärke von Puchers Auffrischung: Einen neuen Godot hat er zwar nicht erfunden, aber lange nicht mehr ging er so nah.

Sa, 5. 3., 20 Uhr, + So, 6. 3., 17 Uhr, Thalia Theater. Weitere Aufführungen: 18. 3., 21. 4., 30. 4., 13. 5., 24. 5., 31. 5.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen