Künstlerische Erinnerungsarbeit
: Geschichten von Geschichte

Hamburger Kunsträume

von Hajo Schiff

Erinnerungen spielen eine große Rolle für die Konstitution der Gegenwart. Museen und Facebook-Fotos, Bücher und Denkmal-Orte, Gedenktage und politisches Handeln bestimmen Auswahl und Art des Fortwirkens einstiger Taten und Dinge. Aber oft führen diese vielfältigen Techniken bloß zu herbeigeträumten Variationen der tatsächlichen Geschichte. Es ist von hoher Weisheit der deutschen Sprache, dass sie den Ablauf historischer Ereignisse und die individuelle Erzählung mit dem gleichen Wort „Geschichte“ bezeichnet.

In Englisch manifestiert sich diese Doppelbödigkeit im Wortwitz „History – His-Story“. Und zu allem überlagern mediale Ausformungen der Vergangenheit alle Vorstellungen. Es ist ein unauflösbares Dilemma. In einem Mittelalter-Film müssen die Mauern alt sein. Sind sie aber richtigerweise so neu, wie sie damals waren, wirken sie bloß als Kulisse, also falsch. Letztlich sind aber alle Erinnerungen falsch und selbst die meisten herbeizitierten Dokumente. Falsche Erinnerungen bestimmen die Biografien und die Krimis, sie produzieren Nationallegenden und werden zu Mythen. Und sie sind ein wunderbares Material für die mit Umdeutungen arbeitende Kunst.

„Nachbilder der Erinnerung“ heißt eine noch bis 13. März laufende, von der Hamburger Kuratorin Belinda Grace Gardner intelligent und international für das Künstlerhaus und Abbildungszentrum Frise zusammengestellten Ausstellung. Die kleine, exemplarische Versammlung von dreizehn überwiegend Foto und Video nutzenden Künstler-Positionen ist freitags bis sonntags von 16 bis 18 Uhr geöffnet und umfasst von der Tagebuchzeichnung bis zum Reenactment-Camp zahlreiche Aspekte von Erinnerungsarbeit.

Tagebücher werden meist geschrieben, um das Erlebte korrekt festzuhalten. Die aus Korea stammende Hamburger Künstlerin Kyung-hwa Choi-ahoi hält aber vor allem ihre Missverständnisse fest, ihre mühselige, gar nicht objektive Orientierung zwischen den Kulturen und Sprachen. Auch wenn eine junge, in München verheiratete Rumänin im litauischen Vilnius Fotos in einem Camp aus sowjetischen Zeiten macht, erzeugt sich schon aus den biografischen Abläufen eine spezielle Geschichte.

Ihre Leuchtkasten-Serie mit Szenen mit alten Uniformen und stimmigen Requisiten samt Lenin-Büste scheint auf den ersten Blick wie aus der Zeit gefallen, offenbart aber an kleinen Details wie Schuhen, Frisuren und Ähnlichem, dass die Vergangenheit jenseits perfekter Illusion nur als Teil der Gegenwart möglich ist. Carmen Dobre-Hametner hat diese beindruckende Arbeit zur Trauma-Verarbeitung und Neuschreibung von Erinnerung in den Inszenierungen einer kommerziellen Touristenattraktion erstmalig letztes Jahr zur Venedig-Biennale gezeigt.

Bei mehreren Arbeiten erzwingt die Poesie verlassener Orte geradezu fiktionale Erinnerungen. Dagegen ist der Idylle der Balkan-Landschaft auf eine hinterhältige Weise in der Projektion von Aron Sekelj aus Belgrad das Trauma von Heckenschützen, Bombeneinschlägen und plötzlich auftauchenden Vögeln oder Kampfflugzeugen eingeschrieben.

Nicht alle Erinnerung ist zwanghaft, sie kann auch fahrlässig oder vorsätzlich gelöscht werden. Die japanische Künstlerin Naho Kawabe hält die Reflexe eines Ornaments in fragilen Schattenzeichnungen aus Kohlestaub fest: Die am Boden werden zertreten werden, die in der Projektion spült eine Welle hinweg. Irgendwann wird die Erinnerung zum schwarzen Loch: Das kleine, unregelmäßig schwarze Foto von Matthias Meyer verdichtet die Fülle des Erinnerns zur Unkenntlichkeit. Denn wird den Bildern die erzählende Abfolge verweigert, löschen sie sich in steter Überlagerung aus.