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Wo das Wasser steigt

KLIMA-FRAGEN Lieber große Namen aus der Stadt: Regionale Kunsthäuser präsentieren eher ungern auch regionale Künstler. Dass Spannendes aber auch in der Provinz entsteht, zeigt gerade die Kunsthalle Wilhelmshaven. Das Haus selbst kämpft derweil weiter ums Überleben

Von Frank Keil

Susann Hartmann lebt auf dem Dorf, irgendwo unterhalb von Bremen. Vermutlich gibt es dort keinen Buchladen, keine Galerie und wohl auch keine noch so kleine Bühne für Theater oder Musik. All das aber hält die Künstlerin nicht davon ab, genau dort ihren Lebensmittelpunkt zu haben: auf dem Land. Da ist es folgerichtig, wenn Hartmann mit ihrer Arbeit „Wassereinbruch Nr. 2“ in der Sammelausstellung „Zwei Meter unter Null“ vertreten ist. Diese dient der Kunsthalle Wilhelmshaven gerade dazu, künstlerische Positionen aus der sie umgebenden Region vorzustellen – Thema: „Klimawandel“.

Bei Hartmann geht es dazu an den Frühstückstisch. Für eine Person ist der gedeckt, und die darauf ausgebreiteten Utensilien muten eher karg an: ein Glas Marmelade, ein Ei, eine aufgerissene Packung „Salami 1A“, eine Scheibe Toast. Doch etwas läuft schief: Aus dem Kaffeebecher läuft unentwegt Wasser – und aus dem Toaster auch. Das Wasser Läuft über die Tischdecke, läuft und läuft und will nicht versiegen. Über dem Tisch hängt eine Pinnwand: ein ausgerissener Zeitungsausschnitt mit erstaunlich billigen Wohnungsangeboten (falls man wegziehen will), ein Schnipsel, welche Staubsaugerbeutel die richtigen sind (M40, natürlich). Und ein gelber Post-it-Zettel: „Ulli anrufen!“ Wer ist Ulli? Und was wollen wir ihr sagen (oder ihm)? Dass das Wasser steigt?

Denn es plätschert, und dieses Plätschern wird nicht aufhören: Es begleitet den Zuschauer auf dem Rundgang durch die Halle, von Arbeit zu Arbeit. Constantin Jaxy entwirft auf einer wandfüllenden Kohlearbeit die Utopie einer Stadt auf Stelzen, Ilse Hellwig zeigt mit einer elegischen Näharbeit neu gewonnenen Meeresboden auf, und Malerin Brigitte Schulten lässt Fische knapp über dem Bordstein gründeln. Da gibt es Bilder zu sehen, die genauso Korallenstrukturen wie Flusslandschaften abbilden könnten, gespeist aus Google Earth und künstlerischer Fantasie; der Mensch aber lässt sich kaum blicken.

Konzipiert und kuratiert hat die Ausstellung Viola Weigel, die Leiterin der Kunsthalle Wilhelmshaven. „Ich komme aus dem Süden, aus dem Schwarzwald“, sagt sie. Als sie in den Norden kam, „waren mir die topografischen Begebenheiten der Gegend nicht vertraut; war mir nicht klar, unter welchen extremen Bedingungen die Menschen hier leben und schon immer gelebt haben: Die Küstenlinie ist ja schon immer in Gefahr“. Zugleich greift sie auf einen ganzen Reigen von Ausstellungen zum Thema zurück, die in den vergangenen Jahren zu sehen gewesen seien. „Meist ging es bei diesen Ausstellungen in die Arktis oder Antarktis“, sagt Weigel. „Man sah ständig abschmelzende Eisberge oder bedrohte Eisbären, der Zugang zum Thema war immer sehr direkt, war sehr spektakulär ausgerichtet.“ Weil sie diesen Weg nun gerade nicht beschreiten wollte, setzt die Ausstellung nun auf vielschichtig Assoziatives; didaktisch aufgeladene und politisch appellhafte Erklärungskunst fehlt glücklicherweise gänzlich.

„Zwei Meter unter Null“ ist aber nicht nur Bekenntnis zu einer unaufgeregten Ausstellungspraxis, sondern auch ein Plädoyer: dafür, die regionale Kunst ernst zu nehmen; so ernst wie die Kunst aus den großen Städten mit ihren vielfältigen Austragungsorten. Nicht nur schreibt die Wilhelmshavener Kunsthalle seit 2000 alle zwei Jahre den „Preis der Nordwestkunst“ aus. Chefin Viola Weigel tritt auch zwischendurch immer wieder an die örtlichen Kunstschaffenden heran: 2009 mit der hauseigenen Ausstellung „Top Secret“, 2012 mit „Schaufenster der Region“ – und jetzt eben mit „Zwei Meter unter Null“, für die es mehr als 100 Einsendungen gab, von denen 40 ausgewählt wurden.

Wilhelmshavens Stadtobere möchten die finanzielle Förderung einstellen; auch weil sich das Programm der Kunsthalle zu sehr der Kunst verpflichtet fühle – und zu wenig den Touristen

Weigel, die an der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe gearbeitet hat und dann länger für die für die Fondation Beyeler in Basel, gibt bereitwillig zu, dass ihr Interesse an der Kunstproduktion im Nordwesten nicht von Anfang an stabil war. Es sei nach und nach gewachsen, auch weil sie seit neun Jahren in Wilhelmshaven lebt und nicht etwa pendelt. „Ein gutes Leben in einer Region zehrt auch von den Künstlern, die dort leben“, sagt sie heute. „Anders gesagt: Je mehr Künstler in einer Region leben, desto angenehmer ist das Leben dort.“

Im kommenden Jahr will sie diese Arbeit fortsetzen und dabei den Kontakt mit verwandten Häusern vertiefen: der Kunsthalle Bremerhaven, dem Museum gegenstandsfreier Kunst in Otterndorf oder der Städtischen Galerie Delmenhorst. Im Gespräch ist eine Art Best-of-Schau mit Stücken aus den jeweiligen Sammlungen – ein Blick auf die nicht immer einfache Sammlungsgeschichte solcher nicht zuletzt ja chronisch unterfinanzierten Häuser.

Im kommenden Jahr? Es ist durchaus nicht ausgemacht, dass es für die Kunsthalle ein nächstes Jahr überhaupt geben wird: Wilhelmshavens Stadtobere möchten die finanzielle Förderung einstellen, nicht nur aus rein monetären Erwägungen heraus, sondern auch weil sich nach ihrem Verständnis das Programm der Kunsthalle zu sehr der Kunst verpflichtet fühlt – und zu wenig einem besser zu vermarktenden Angebot für die Touristen, die am Hafen flanieren. Lange dümpelte die Diskussion vor sich hin, Ende vergangenen Jahres wurden Fakten geschaffen: Die Stadt hat den bisherigen Vertrag mit dem „Verein der Kunstfreunde für Wilhelmshaven“ – dem Betreiber der Halle – zum Ende des Jahres 2016 einseitig gekündigt. Ab dem 1. Januar 2017 soll kein Geld mehr fließen. Bleibt es dabei, ist auch die Kunsthalle selbst in Gefahr: ein modernistischer Bau aus Beton, Stahl und Glas, der 1968 eigens für die Kunst geschaffen wurde, der selbst Kunst ist und einem Kontrast bildet zu den klobigen und herrschaftsaffinen Verwaltungsbauten der einstigen Marine- und damit Militärstadt.

Hinter den Kulissen und im Gespräch mit Ratsfraktionen und Stadtverwaltung versucht der Träger-Freundeskreis derzeit zu retten, was zu retten ist. Auf dem Tisch liegt etwa das Konzept einer Kulturstiftung, die künftig die Finanzierung der Kunsthalle und anderer Wilhelmshavener Häuser übernehmen soll. Jedoch – und das ist wenig überraschend für eine strukturschwache Region – gibt es keinen Stifter, und in Sicht ist auch keiner. Also soll die Stadt selbst erst mal dieser Stifter sein, mit der äußerst vagen Idee, eines Tages könnte man für sogenannte Zustifter derart attraktiv sein, dass sie sich langfristig zurückziehen kann.

Der Unterschied zur bisherigen Förderung wäre wesentlich: Prüft und billigt derzeit der Freundeskreis autonom das jeweilige Ausstellungsprogramm, würde das dann ein Stiftungsvorstand tun, begleitet von einem Stiftungskuratorium – in dem sich auch genau die nun so sparfreudigen Kommunalpolitiker wiederfänden. Der Grundkonflikt Kunst versus Touristisches würde sich also auch in die konkrete Programmplanung verlagern – und verschärfen.

Dazu kommt, dass die Kunsthalle nur eines von drei Häusern wäre, über das sich das Dach einer solchen Stiftung spannen könnte; dazu gehörte noch das Wattenmeer-Besuchszentrum sowie das ortsansässige Küstenmuseum. Ersteres ist ein sehr ordentliches, die Ökologie des Watts vermittelndes Haus, das zum Nationalpark Wattenmeer gehört; letzteres schlingert als eine Art verkapptes Stadtmuseum finanziell und konzeptionell angeschlagen hin und her. Seit September stellt es in seinen Räumen etwa Werke des Plakatkünstlers Ernst Volland aus, dessen Kunstkonzeption auf der Homepage des Museums so beschrieben wird: „Er verfremdete Fotos des kollektiven Gedächtnisses mit politischen und gesellschaftlichen Themen durch Unschärfe und machte sie zu visuellen Rätseln.“ Scharfgestellt, dürfte das Interesse an Volland weniger seiner Plakatkunst als seiner Person geschuldet sein: Volland wurde in Wilhelmshaven geboren und ging hier zur Schule – um die Stadt nach dem Abitur sofort zu verlassen. Wie so viele junge Leute.

In Wilhelmshaven aufgewachsen ist auch Rainer Fetting, später einer der „Jungen Wilden“ der Malerei. Ihm wollten die Stadtväter zwischenzeitlich die Kunsthalle in die Hand drücken, aus ihr eine Art Rainer-Fetting-Museum machen. Eine Idee, die sich rasch wieder zerschlug. Nun steht eine kleine Fetting-Skulptur in der aktuellen Ausstellung: ein nackter Mann, Füße und Beine grün angemalt, könnten Gummistiefel sein, wie man sie braucht – wenn das Wasser steigt.

„Zwei Meter unter Null. Eine Kunstausstellung zum Klimawandel im Norden“: bis 28. März, Kunsthalle Wilhelmshaven

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