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KLAR, DENKT MANCHER: WENN DIESE FLÜCHTLINGE SCHON HERKOMMEN MÜSSEN, DANN KÖNNEN SIE SICH AUCH NÜTZLICH MACHEN. KLINGT RICHTIG – ABER HALT NICHT FÜR JEDENMit Ächzen und Würde

Foto: Lou Probsthayn

Fremd und befremdlich

KATRIN SEDDIG

Flüchtlinge sollen Unterkünfte bauen, heißt es im NDR, und ich frage mich, wer so eine Zeile schreibt. Alles daran hört sich schief an. Sollen Flüchtlinge das? Und welche Flüchtlinge – alle? Flüchtlinge sind ein großes Thema, weil es eine Menge von ihnen gibt, in Deutschland, im Moment. Und es werden sogar noch mehr.

Es ist ein Thema, mit dem wir umgehen müssen, weil sie eben da sind. Ein Teil wird abgeschoben, aber alle werden verwaltet, das kostet Geld, und dann überlegt sich also manch einer, ob man nicht was Nützliches mit ihnen anstellen kann: Ob man sie nicht verwenden kann, denn es sind immerhin Menschen mit Fähigkeiten.

Gehen wir davon aus, dass alle Menschen Menschen mit Fähigkeiten sind, dann wird das wohl stimmen. Man muss nur noch die Menschen mit Kapazitäten finden, eine Mutter mit kleinen Kindern, auch ein Vater in derselben Situation, wenn er allein sich um die Kinder kümmern muss, in der Fremde, hat nicht besonders viele Kapazitäten. Aber im Großen und Ganzen wird es unter den Geflüchteten Menschen geben, die einen Beruf haben und zum Beispiel auf einer Baustelle nützlich sein könnten. Wäre es dann nicht sinnvoll und praktisch, diese Menschen einzusetzen?

Wie findet nun Kommentar-klaus das? Gut, sagt der eine: Der Mensch muss sich nützlich machen, er muss tätig sein, damit er sich wertvoll fühlt. Wenn es um den Menschen geht, der keine Aufgabe hat, aber gerne eine hätte. Nicht gut, sagt aber der andere: Der ausländische Arbeiter nehme dem einheimischen Arbeiter die Arbeit weg.

Aber ist einer, der hier jetzt leben wird, nicht auch ein Einheimischer? Wenn er hier wohnt und hier einkauft, seine Kinder dann hier in die Schule schickt und Steuern zahlt, ist er dann nicht ein Einheimischer? SPD und Grüne haben in Hamburg so einen Vorschlag gemacht, ich weiß nicht, wie viele Hürden zu überwinden wären, sprachliche, rechtliche, soziale, ob das also machbar wäre oder ob es nicht am Ende doch wieder Ungerechtigkeiten gäbe. Das kann ich nicht einschätzen.

Aber in Zeiten wie diesen sind Entscheidungen gefragt: Man muss die Dinge anpacken, man muss Ideen haben, auch unkonventionelle, es müssen Sachen ausprobiert werden. Es scheint mir alles so langsam und vorsichtig vor sich zu gehen, niemand möchte das Falsche sagen, abgesehen von den Leuten, die sowieso das Falsche sagen, den ganzen Tag, und die gar keine Lösung wollen außer der, die nur ihnen allein nutzt. Solche Situation, wie wir sie jetzt haben, erfordert Mut, auch den, Fehler zu machen, glaube ich. Möglicherweise ist das hier jetzt so eine Art Neubeginn, mit neuen Menschen, mit einer neuen Energie. Seit der deutschen Wiedervereinigung ist ja nicht mehr besonders viel los gewesen im deutschen Land. Aber jetzt passiert was, jetzt tut sich was, jetzt können die deutsche Verwaltung und die Politik mal zeigen, wie sie organisieren und verteilen können – und jetzt knarrt und ächzt es im Gebälk.

Sollen also Flüchtlinge jetzt ihre Unterkünfte selbst bauen, oder ist die Zeile einfach Unsinn? Weil es einfach nur eine Schlagzeile ist? Brauchen wir Schlagzeilen, sind wir so einfach gestrickt? Ich finde den vielleicht etwas strengen und vielleicht auch pädagogischen Gedanken, etwas einzufordern – das Mögliche, wenn man etwas gewährt –, den finde ich richtig. Kommt her und seid nützlich, sofern ihr es könnt. Ich denke, es ist im Interesse jedes Menschen, der hier leben will, tätig zu werden. Ich denke auch, dass die meisten Menschen so sind, dass sie das wollen. Das hat mit Stolz und mit Würde zu tun.

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Eine Nacht und alles“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.

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