: Wenn der Kopf die Beine lähmt
Supersonntag Armin Veh und André Breitenreiter kassieren ihre eigenen Ideale – zu groß ist die allgemeine Verunsicherung in Frankfurt und auf Schalke
aus Frankfurt a. M. Frank Hellmann
Nein, den Fehler mache er nicht noch einmal, hatte sich Armin Veh gesagt. Nach dem offiziellen Teil der Pressekonferenz stehen bleiben und im kleinen Kreis bei abgeschalteten Kameras, aber eingeschalteten Aufnahmegeräten über seine Gemütslage sprechen – diese Prozedur war dem Fußballlehrer zuletzt auf die Füße gefallen. Weswegen er nach dem drögen 0:0 gegen den FC Schalke zwar noch lange mit dem Kollegen André Breitenreiter plauderte, aber nicht mehr mit den Berichterstattern. Aus Selbstschutz, erläuterte der 55-Jährige.
Veh hatte nach einer faden Nullnummer gegen den Hamburger SV im Frust geäußert, pfeifende Zuschauer sollten besser zu Hause bleiben. Und tatsächlich blieben zur ungewöhnlichen Anstoßzeit am Sonntagabend 8.000 Plätze im Frankfurter Stadtwald unbesetzt. Und diejenigen, die die eigenen vier Wände der zugigen Arena vorzogen, haben im Endeffekt alles richtig gemacht. Kaum ein Bundesligaspiel bot so wenig Spektakel wie diese letzte Partie der 23. Runde.
„Beide Mannschaften haben nicht vor Selbstbewusstsein gestrotzt“, urteilte Veh über den Langeweiler zwischen zwei Kontrahenten, die ihre letzten fünf Pflichtspiele nicht gewinnen konnten. „Es ist schon eklatant, dass die Leistung gar nicht abgerufen wird. Im Training können die Sachen ja klappen, aber im Spiel gibt es dann die Angst, etwas verkehrt zu machen.“
Heribert Bruchhagen hatte gar „Rucksäcke“ auf den Rücken der Profis gesehen. Sosehr sich der Vorstandschef mühte, die gegnerischen Qualitäten herauszustellen (“Wir haben gegen Schalke gespielt!“), so wenig zog die Argumentation für seinen Vorstandskollegen Axel Hellmann: „Wir haben die drei Punkte auf dem Silbertablett bekommen, aber wir haben sie nicht genommen.“ Der Druck auf Veh wächst: Sollte es am Mittwoch bei Hertha BSC schiefgehen, scheint nichts mehr ausgeschlossen. Der Coach weiß: „Immer unentschieden zu spielen wird am Ende zu wenig sein.“
Der in Ehren ergraute 55-Jährige schafft es einfach nicht, dem Teufelskreis zu entrinnen. Mit zu wenigen Punkten schwindet das Selbstvertrauen, ohne Selbstüberzeugung kommen kaum Offensivaktionen und damit keine Tore zustande. Der Kopf lähmt die Beine. Die mentale Komponente, das ist mittlerweile Vehs Lieblingsthese, habe heute einen größeren Einfluss als früher. „Ich spüre das.“ Ob das an der öffentlichen Wahrnehmung des Fußballs liege, der durch den medialen Dauerbetrieb stets in seiner Bedeutung überhöht zu werden droht, konnte der Hundeliebhaber nicht so genau sagen. Aber seine Generation sei damit „lockerer“ umgegangen. Eine Krise einfach weglaufen, wegkämpfen, wegspielen – irgendwie geht das nicht mehr.
Vehs Ausführungen lauschte Breitenreiter sehr aufmerksam. Auch er hat nicht erst seit der Europa-League-Blamage vom vergangenen Donnerstag mit einer grassierenden Negativstimmung zu kämpfen. Hohn und Sport aus dieser Partie, glaubt Breitenreiter, „hängt in den Köpfen fest“. Sein Gegenrezept: Stabilität herstellen. „Wir wollten uns im Spiel gegen den Ball verbessern, das ging zulasten der Offensive.“ Der lange ziemlich nassforsche 42-Jährige hat klammheimlich jene königsblauen Ideale kassiert, die er selbst noch bis in den Spätherbst vertrat. Hohes Pressing, schnelles Umschalten, attraktiver Fußball, begeisterte Fans – das alles scheinen Leitmotive aus einer anderen Epoche.
Von der Philosophie sind allenfalls Bruchstücke übrig geblieben. Die jungen Kreativkräfte Leroy Sané und Max Meyer drückten die Bank, dafür standen gleich vier Außenverteidiger auf dem Feld. Nur am Ende der Amtszeit von Defensivfanatiker Roberto di Matteo wirkte Sturmführer Klaas-Jan Huntelaar so verloren wie am Sonntag. Die fußballerische Armut darf indes nicht mehr lange anhalten, deshalb steht auch für Breitenreiter morgen gegen den HSV ein richtungsweisendes Heimspiel an. Sollte Schalke mit Nichtangriffspakten wie in Frankfurt die Europapokalplätze verfehlen, wird sich der neue Manager Christian Heidel genau überlegen, welcher Trainer einen Kader befehligt, der einer der teuersten der Liga ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen