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Richtige und falsche Moral

KINO Zwischen Gewalt, Hedonismus und Dekadenz: In „Hardkor Disko“ erzählt Krzysztof Skonieczny vom urbanen Polen

von Barbara Wurm

Aus welchen sozialen Schichten der junge Mann namens Marcin kommt, der in Krzysztof Sko­niecz­nys Thriller „Hardkor Disko“ schon beim Betreten des Films ein scharfes Messer unter seinem T-Shirt versteckt, erfahren wir nicht. Aber dass er ein Problem mit offenbar gut funktionierenden Neureichen-Kernfamilien hat, ahnen wir spätestens dann, als er beginnt, sein Lieblingsspielzeug an den Eltern von Ola anzuwenden. Nicht ohne diese beiden Vorzeigemodelle ausführlich zu Wort kommen zu lassen – der Vater ist erfolgreicher Architekt, die Mutter arbeitet am Theater.

Käme der schweigsame Gast aus einem anderen Film, so am ehesten aus einem der frühen von Michael Haneke, dem österreichischen Meister eindringlicher Gewaltdarstellung. Dem Gesicht ist Gewalt eingeschrieben, und doch kommt immer wieder eine fast unwiderstehliche Sentimentalität zum Vorschein. Diese Kombination fasziniert Ola, Partygirl der Stunde und von Koks und Dollars im Dauerrausch. Auf die Frage, wie er lieber sterben würde, durch Verbrennen oder Erfrieren, wählt Marcin das Feuer. Lieber ein Experiment an den Sinnen als deren Betäubung. Keine Angst vor Schmerz. Das setzt ein inneres „Like”. Der Sex ist dann maximal unsinnlich. Sko­niecz­ny verbannt das Gerammel an das hintere Ende einer gut fixierten und gerahmten Totale.

Überhaupt gibt sich der Debütfilm des Schauspielers und Musikvideo-Machers, der bei KinoPolska kommenden Donnerstag seinen eigenen und am Freitag seinen Wunschfilm „Na wylot“ präsentieren wird, stilistisch selbstsicher. Über den visuellen Schnittfolgen der Genre-Versatzstücke (Thriller) und Autoren-Anspielung (Richard Linklater) dominiert ein pulsierender Soundtrack als Index der Musikszene Polens. Ziemlich variantenreich werden dabei die beiden Generationen kontrastiert: von Klassik bis Disco die Eltern, von HipHop bis Techno und Punk die Jungen.

Somit bieten sich gleich zwei Anknüpfungspunkte an den von Skonieczny vorgestellten Klassiker des polnischen Kinos, Grzegorz Królikiewicz’ „Na wylot“ („Durch und durch“) aus dem Jahr 1972 an: das experimentelle Sounddesign einerseits, die kühle Gewalt andererseits. Damals ein Saalfeger erster Güte, eröffnet der selektive Retroblick auf die Jahre der „moralischen Unruhe“ – zu dessen Kino das Enfant terrible Królikiewicz ohnehin immer schon quer lag – heute einige unverhoffte Einblicke. In die Seele vermeintlicher Psychopathen ebenso wie in die cineastischen Höhenflüge des polnischen Films.

Käme er aus einem anderen Film, so am ehesten aus einem von Michael Haneke

Ein realer Kriminalfall liegt diesem Schwarz-Weiß-Schocker zugrunde. In den 1930er Jahren ermordete das Ehepaar Malisz einen Briefträger sowie ein älteres Paar. Vor Gericht nehmen sie jeweils die Schuld auf sich, um den Partner vor der drohenden Todesstrafe zu schützen. Das Spielfilmdebüt von Królikiewicz ist bis heute eine unfassbare Demonstration eines in jeder Hinsicht auf Konflikt basierenden Kinos, in dem sich das radikale Cinéma vérité des Dokumentarischen (etwa in den unerreichten Kneipenexzessen) mit hochoriginellem Noise-Making, autonomer Tonspur und anderen Störeffekten verbindet.

Im Feuerwerk der filmischen Kniffe und Verfahren, die für anhaltende Suspense besonders im Formalen sorgen, treffen auf diese Weise präzise Milieuschilderungen auf surrealistisch anmutende Einstellungswechsel. Die standen im institutionell abgekoppelten Experimentalfilm der Zeit bekanntlich vor allem für Sinnfreiheit. Hier jedoch werden die Formalismen allesamt verbunden mit einer Sprengung auch moralischer Konventionen und ethischer Setzungen. Denn Królikie­wicz’ Helden sind von ihrer Gesellschaft Ausgestoßene und werden stets wie Aussätzige behandelt.

Wenn sich in der zweiten Filmhälfte also vor Gericht entscheidet, ob ihr Handeln nichts als Niedertracht und Abschaum ist, kommt das Urteil des Zuschauers ins Spiel. Die Lücken im Erzählen sind keine Spielerei, sie sind für Królikiewicz, selbst Außenseiter des Metiers, die notwendigen Leerstellen, in denen sich so etwas wie „kreative Demokratie“ einstellen kann. Die (Gewalt-)Liebe der Outlaws funktioniert deshalb beim alten Meister etwas besser als in „Hardkor Disko“: Ihre Unmoral wird nachvollziehbar.

KinoPolska: Kino Arsenal, 25. 2, 20 Uhr, in Anwesenheit des Regisseurs Krzysztof Skonieczny

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