Berliner Szenen: Sozialer Brennpunkt
Ohne Schuhe
Ich bringe Fup in die Schule. Es gibt hier „Konfliktlotsen“, aber ich habe noch keine gesehen. Vor dem Klassenzimmer ist Remmidemmi und Gerangel. Eine mahnende Lehrerin wird einfach ignoriert. Vielleicht müsste ihr ein Konfliktlotse zu Hilfe kommen. Ich gehe wieder, werde aber von hinten angesprungen. Es ist nur Fup, der sich verabschiedet.
Ich habe viel zu tun. Kaffee trinken und Zeitung lesen, dann auf der „Schangselisee“, wie der Kottbusser Damm von den Türken genannt wird, Geld abheben. In der Boeckhstraße sehe ich in einem Hinterhof ein paar Türken, die singen, und denke, komisch, warum singen die in einem Hinterhof? Zwei rappen und einer filmt. Im Hintergrund graffitibemalte Hauswände. Ich denke, das hat bestimmt was mit sozialem Brennpunkt zu tun. So vergeht die Zeit.
Um 16 Uhr ist mein Arbeitstag rum, und ich hole Fup vom Hort ab. Die Erzieherin sagt, sie wolle mich sprechen. Ob es mit dem geschwollenen Auge zu tun habe, das Fup hat. Ne, ne, sagt die Erzieherin, das hätte er schon aus der Schule mitgebracht. Ah, sage ich. Dann muss ich Fup einfangen. Er soll sich dazusetzen, will aber lieber „Star Wars“-Karten tauschen. Die Erzieherin fragt, ob er erzählen wolle oder sie. Fup sagt: „Wir waren nur draußen.“ Ja, sagt die Erzieherin, nur leider nicht auf dem Hortgelände, sondern auf der Straße, und zwar ohne Schuhe und ohne Jacke. Er und sein Freund seien aber auf dem Weg zum Potsdamer Platz entdeckt worden. Oh, sage ich.
Und das blaue Auge? Eine undurchsichtige Geschichte, aber er habe von seiner Mutter abgeholt werden wollen. Sie habe ihm gesagt, dass seine Mutter arbeiten müsse, und wenn er sich schlägern würde, dann solle er nicht so zimperlich sein. Fup habe sie gefragt, ob sie mich anrufen könne: „Papa ist den ganzen Tag zu Hause und macht gar nichts.“ Klaus Bittermann
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