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KUNST

KunstNoemi Molitorschaut sich in Berlins Galerien um

Sein Erinnerungspäckchen hat sich Mark Leckey mit Kassettentonband zusammengeschnürt: Kellog’s Cornflakes, Benson and Hedges, eine Glühbirne. Kellog’s. Als wir endlich einen Fernseher hatten, saß ich jedes Wochenende mit einer Schüssel voll davor auf dem Boden und guckte stundenlang „The Fresh Prince of Bel-Air“. Heute vertrage ich keine Milch mehr – jede Rekonstruktion mit Mandel, Soja, tralala ist bisher gescheitert. Eine Erinnerungsbrücke weniger. Gut, dass ­Leckey sich die Brücken einfach selber baut. Die Einzelausstellung „Dream English Kid 1964–1999 AD“ in der Galerie Buchholzzeigt nicht nur den gleichnamigen Film von 2015, sondern auch (zunächst nicht als solche erkennbare) Requisiten. „Bridge # 1 (2014), eine Autobahnbrücke aus Pappe, die wie ein minimalistischer Zementguss aussieht, ist noch die offensichtlichste Referenz. Wobei die gleiche Unterführung im Film auch eine Filmaufnahme aus „Lost Highway“ sein könnte. Das Verlorene, die Leere: Ein scheinbar inhaltsloser Raum stellt tatsächlich Licht aus, gelb leuchtende Natriumdampflampen, die als Yellow Screen von Disney bis Hitchcock für Filmmontagen eingesetzt wurden. Unter Niedrigdruck verhindern sie bei Nacht die Farbtreue, in der Dunkelkammer erlauben sie die Entwicklung von Schwarz-Weiß-Film. In Leckeys Film wird eine Film „Noir Diva“, in dieses gelbe Licht getaucht, plötzlich zur Protagonistin eines trashigen 70er Streifens. Die Streben der Plastikverkleidung der Lampen dienen schließlich als ästhetische Materialmarker. Die Rekonstruktion der Vergangenheit funktioniert in Leckeys Erinnerungsmontage immer wieder über die anachronistische Kombination von Technologien aus verschiedenen Zeiten. Ein LED-Leuchtscreen wirbt mit 80er-Jahre-Schrift für „English Kid“. Youtube-Mitschnitte zeigen ein Joy-Divison-Konzert in Liverpool, auf dem Leckey irgendwo in der Menge verborgen sein muss. Ein Flashback-Opus des Nachbauens, getragen von einem Soundtrack voller Post-Punk, Apollo 18 und dem Signalton des Countdowns alter Filme (bis 5. 3., Di.–Sa., 11–18 Uhr, Fasanenstr. 30).

Mein Countdown der Woche: Am Freitag eröffnet im Art Laboratory Berlin die Gruppenausstellung „The Other Selves. On the Phenomenon of the Microbiome“ als Teil der Reihe „Non­human Subjektivities“. Vertreten: François-Joseph Lapointe, Saša Spacal mit Mirjan Švagelj und Anil Podgornik, Tarsh ­Bates und Joana Ricou. Nichtmenschliche Subjektivitäten haben sie zum Beispiel im mikrobiellen Milieu des menschlichen Körpers gefunden. In Wahrheit sind wir nämlich multiple Entitäten (Eröffnung: 26. 2., 20 Uhr; Künstlergespräch: 28. 2., 15 Uhr; Fr.–So., 14–18 Uhr, bis 30. 4., Prinzenallee 34).

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