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Archiv-Artikel

„Nicht auf Bananen und Kartoffeln beschränken“

Auch die Sozialpolitiker von CDU und CSU kritisieren Merkel. Der künftige Agrarminister Horst Seehofer kündigt an, sich einzumischen: „Der Radikalkurs ist abgewählt“

BERLIN taz ■ Sie hätten so gern, dass er verstummt. Dass er sich damit begnügt, der Mann für Ackergemüse und Geflügelseuchen zu sein. „Wir sind froh, dass Herr Seehofer für die Kartoffel zuständig ist – und nicht für die Gesundheit“, sagte Junge-Unions-Chef Philipp Mißfelder gestern spöttisch über die Rolle Seehofers im künftigen Kabinett. Die konservative Jungelite applaudierte.

Doch die Chance ist gering, dass Horst Seehofer, profiliertester Sozialpolitiker der CSU, seiner alten Vorliebe abschwört. Denn am Wochenende hat an Vehemenz gewonnen, was seit der Wahl zu hören ist: die Unionskritik an Merkels Reformkurs. Für Seehofer, aber auch für die nordrhein-westfälischen CDUler Jürgen Rüttgers und Karl-Josef Laumann ist Merkels Wirtschaftsfokus am Wählerwillen gescheitert. Sie fordern ein neues soziales Profil, das die Abstiegsängste der CDU-Klientel ernst nimmt. „Wir müssen wieder stärker sichtbar werden, wenn es um soziale Belange geht“, sagte Laumann, NRW-Arbeitsminister und Vertreter des Arbeitnehmerflügels. Rüttgers, Ministerpräsident in Düsseldorf, verlangt vor allem Korrekturen an Hartz IV.

Dass sich zwei große Bundesländer – Bayern und NRW – zu einer Kritikerfront zusammengeschlossen haben, ist für Merkel nicht ungefährlich. Denn eine große Koalition im Bundesrat hätte nur eine dünne Mehrheit. Abweichler in den eigenen Reihen kann sich die künftige Regierung nicht leisten. Auf diesem Hintergrund wirken Rüttgers Worte wie eine Drohung: Er werde „keine parteistrategischen Rücksichten nehmen, die zum Nachteil Nordrhein-Westfalens wären“, sagte er am Wochenende.

Als Kampfansage lässt sich auch lesen, was Seehofer dem Spiegel verkündete: „Ich lasse mich doch nicht auf Kartoffeln und Bananen reduzieren“, sagte er. Wäre nicht der Radikalkurs Merkels „eindeutig abgewählt worden“, hätte er – der Kritiker des Sozialstaatabbaus – wohl kaum Chancen auf ein Ministeramt gehabt. Er setze sich nun für ein Programm von „Maß und Mitte“ ein.

Die Personallage im Kabinett dürfte ihm bei seinem Drang zu Themen jenseits der Nische Agrar entgegenkommen. Programmatisch trennt ihn wenig von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD). Wie diese lehnt er Merkels Plan ab, die Deutschen per Kopfpauschale krankenzuversichern.

Konkrete Vorschläge waren am Wochenende indes weniger von Seehofer als von den Merkel-Demonteuren aus dem Rheinland zu hören. So will Arbeitnehmervertreter Laumann jene Wähler besänftigen, die sich vor dem sozialen Abstieg durch Jobverlust fürchten. Der Bezug von Arbeitslosengeld müsse an die Zahl der Arbeitsjahre gekoppelt werden. Wer über Jahrzehnte Beiträge gezahlt hat, dürfe nicht schon nach einem Jahr Arbeitslosengeld-II-Empfänger werden. Die Rente ab 63 solle möglich sein – zumindest für jene, die mit vielen Beitragsjahren aufwarten können. „Die einfachen Leute wollen Sicherheit“, sagte Laumann. „Wir dürfen nicht die Entstaatlichungspartei sein.“

COSIMA SCHMITT