: Geräuschlose Kampftruppe
Die Bundeswehr feiert und rühmt sich ihrer Akzeptanz in der Bevölkerung. Doch die gilt einem Bild der deutschen Streitkräfte, das mit deren künftiger Rolle wenig zu tun hat
Parlamentsarmee soll sie sein, die Bundeswehr. Nicht eigenständig handelnd, nicht Machtmittel der Regierung. Der Bundestag, Auftraggeber und Kontrollorgan der Bundeswehr, feiert morgen das 50. Jubiläum der Streitkräfte. Dazu dürfen sie dann das weitläufige Gebiet rund um Reichstagsgebäude und Abgeordnetenbüros zum militärischen Sperrgebiet erklären und von Feldjägern abriegeln lassen. Das Parlament lässt sich freiwillig von seiner Parlamentsarmee umstellen.
Die Symbolik ist gelungen. Tatsächlich ist die demokratische Kultur nirgends so unterentwickelt wie auf dem Gebiet der Militärpolitik. Die Bundeswehr steht vor einer gewaltigen Umstrukturierung und qualitativen Aufrüstung. Aus den Streitkräften zur Landesverteidigung, wie im Grundgesetz vorgesehen, soll eine weltweit einsetzbare Kampftruppe werden. Die wird auch die Republik als Ganzes prägen. Eine entsprechende öffentliche Auseinandersetzung darüber gab es dennoch nicht.
Stattdessen wird wieder und wieder ein angeblicher Konsens beschworen, zu dem es ohnehin keine Alternative gebe. Auch bei dem archaischen Ritual des Großen Zapfenstreichs, ausgerechnet auf dem Berliner Platz der Republik, wird morgen wieder von der großen Akzeptanz der Bundeswehr zu hören sein, von der Bundeswehr als eine der „angesehensten Institutionen“ des Landes. Ob angesehen oder nicht, akzeptiert oder nicht, es dürfte kaum eine Institution der Bundesrepublik geben, deren dramatisch veränderte Funktion in der Öffentlichkeit so wenig wahrgenommen wird wie die der Bundeswehr.
Die außenpolitische Elite des Landes interessiert das wenig – eindrucksvoll untermauert wird dies etwa durch die Koalitionsverhandlungen, in denen über das Wehrressort am wenigsten Dissens herrschte. Der CDU-Parteipolitiker Franz Josef Jung wird als Verteidigungsminister kaum eine andere Linie vertreten als sein Vorgänger Peter Struck. Der Ausbau der Bundeswehr zur Interventionsarmee ist längst zum nicht mehr zu hinterfragenden Dogma geworden. Ähnlich wie in der wirtschaftspolitischen Globalisierungsdebatte, wird gerne auf die notwendige Anpassung an internationale Standards, die existierenden internationalen Zwänge und die Alternativlosigkeit zur betriebenen Politik verwiesen. Ansonsten nutzte man den Gewöhnungseffekt. Die Auslandseinsätze wurden ausgeweitet. Bilder von Brunnen bauenden und Babys küssenden Bundeswehrsoldaten zeigen ja auch, wie harmlos das alles ist. Das funktioniert nicht immer. Bei den direkten Kriegsbeteiligungen im Kosovo und in Afghanistan war es etwas schwieriger. Doch hier half der Zeitdruck und das drohende Ende der rot-grünen Koalition.
Doch auch im Nachhinein führten diese Entscheidungen nicht zu einer grundsätzlichen Debatte über den Einsatz kriegerischer Gewalt. Im Gegenteil, diese Kernfrage deutscher Außenpolitik wurde vertagt, verdrängt, vergessen. Dabei sind die Grundzüge künftiger Einsatzszenarien kein Geheimwissen. In der Europäischen Sicherheitsstrategie, den Beschlüssen zu den Eingreiftruppen von EU wie Nato und auch aus den Verteidigungspolitischen Richtlinien des Bundesverteidigungsministeriums sind die Grundzüge der künftigen Einsatzplanungen nachlesbar. Und auch hohe deutsche Militärs sprechen ganz offen über die Form künftiger Kampfeinsätze – ganz im Gegensatz zu ihren politischen Kontrolleuren im Parlament.
Den Befürwortern einer globalen Kampftruppe Bundeswehr wurde das Leben also denkbar einfach gemacht. Denn sie stehen kaum unter kritischer Beobachtung. Zum einen gibt es, gerade im linksliberalen Umfeld, eine Abneigung, sich mit so banalen und unappetitlichen Dingen wie Waffen und Einsatzszenarien zu beschäftigen. Zum anderen lenkt die doch so offensichtlich militärische Politik eines George W. Bush von Entwicklungen hin zu einer militärisch gestützten Außenpolitik auch hierzulande ab.
Ohnehin ist kaum jemand von langfristigen militärpolitischen Entscheidungen unmittelbar betroffen. Belästigungen durch die Bundeswehr nehmen durch den Umbau zu einer Eingreiftruppe tendenziell eher ab. Als Interventionsarmee ist die Bundeswehr zu Hause weniger sichtbar. Eine am Hindukusch eingesetzte Armee ist für den Einzelnen sehr viel weniger bedrohlich als die Aussicht auf eine Panzerschlacht im Fulda Gap.
Dennoch gab es gerade in den letzten zwölf Monaten politische Auseinandersetzungen, die als Indiz dafür gelten dürfen, dass aus Gleichgültigkeit Ablehnung wird – wenn denn ein militärpolitisches Thema es erst einmal auf die Tagesordnung geschafft hat. So sollte etwa Anfang des Jahres das Raketenabwehrsystem Meads, wie üblich bei Rüstungsprojekten, geräuschlos durch den Haushaltsausschuss des Bundestages gewunken werden. Als die milliardenschwere Rüstungsentscheidung dann doch noch öffentlich zum Thema wurde, löste dies eine heftige Kontroverse aus – auch, weil sich die Bundeswehr mit Meads für Interventionskriege nach US-amerikanischem Muster rüstet.
Die Informationspolitik über laufende Einsätze der Bundeswehr lässt vermuten, dass selbst Befürworter einer Interventionsarmee sich großer Akzeptanz dann nicht mehr sicher sind, wenn es um konkrete Einsätze geht. So gibt es über den politisch umstrittensten Einsatz der Bundeswehr, den Kampfeinsatz des Kommandos Spezialkräfte (KSK) in Afghanistan, keinerlei Information der Öffentlichkeit – obwohl sie die neue Bundeswehr angeblich so vorbehaltlos unterstützt.
Bis auf eine Hand voll Abgeordneter wird nicht einmal der Bundestag über die KSK-Einsätze unterrichtet. Er entscheidet also jährlich über eine Mandatsverlängerung, ohne Auftrag und Erfolg der gut getarnten Kampftruppe zu kennen. Genau um solche Einsätze so genannter Spezialtruppen wird es aber künftig bei vielen Auslandseinsätzen gehen. Sie sind charakteristisch für viele Kriegsszenarien der USA und ihrer Verbündeten. Die künftige Bundeswehr wird ja keine Massenheere in alle Welt schicken, sondern soll über kleine und mobile Einsatztruppen verfügen, um schnell und geräuschlos eingreifen zu können.
Es mag sein, dass die Bundeswehr derzeit tatsächlich eine breite Anerkennung in der Bevölkerung findet. Aber was ist sie wert, wenn diese Wahrnehmung mit den tatsächlichen Aufgaben der Bundeswehr immer weniger zu tun hat? Das morgige Spektakel zum Bundeswehrjubiläum wäre ein guter Anlass, das Bild von der Bundeswehr ein wenig mehr den realen Entwicklungen anzupassen. Erst das schafft die Grundlage für eine demokratische Auseinandersetzung.
Dazu sind ehrliche Worte nötig. Soll die Bundeswehr zu einer weltweit einsetzbaren Kampftruppe aufgerüstet werden, kann es auch für die politischen Akteure in Berlin keinen Grund geben, dies zu tabuisieren. Dann kann endlich darüber öffentlich gestritten werden – in einem Parlament ohne militärischen Sicherheitsbereich.
ERIC CHAUVISTRÉ