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Pragmatik statt Untergang

Schwaben-Serie Seit dem Trainerwechsel von Zorniger zu Kramny läuft es plötzlich beim VfB Stuttgart. Der 4:2-Auswärtserfolg bei der Frankfurter Eintracht war bereits der vierte Sieg in Folge

Hähä, ätschbätsch, 1:4. Torschützer Georg Niedermeier (r.) freut sich. Foto: dpa

Aus Frankfurt/Main Tobias Schächter

„Wenn wir auch Rückschläge verarbeiten, dann haben wir früher als erhofft nichts mehr mit dem Abstieg zu tun.“ Das war natürlich ein Versprecher von Christian Gentner; der Kapitän des VfB Stuttgart wollte eigentlich „erwartet“ statt „erhofft“ sagen. Denn gehofft haben natürlich alle beim VfB, sich so schnell wie möglich aus der Abstiegszone befreien zu können. Erwartet hat das aber niemand, nachdem Jürgen Kramny das Traineramt von Alexander Zorniger übernommen hat.

Doch die VfB-Elf Anfang Februar ist nicht mehr mit der von Anfang November vergleichbar. Die Spiele sind zwar noch immer spektakulär, aber weil statt dem Dogmatiker Zorniger mit Jürgen Kramny nun ein Pragmatiker das Sagen hat, gewinnen die Schwaben immer häufiger. Das 4:2 bei Eintracht Frankfurt war der vierte Sieg in Folge. Noch ist der VfB längst nicht gerettet, aber die Hoffnung, früher als erwartet nichts mit dem Abstieg zu tun zu haben, ist nicht unbegründet.

Dabei ist Jürgen Kramny kein Zauberer, er hat nur das gemacht, was der beratungsresistente Zorniger aus ideologischen Gründen nicht bereit war zu tun: Kramny setzt weiter auf Schlagabtausch – aber mit Absicherung. Die ungewöhnliche Schlagkraft in der Offensive kann diese Elf weiter ausspielen. Mit kluger Absicherung, nachvollziehbaren Personalwechseln in der Defensive und variiertem Tempo rennen sich die Stuttgarter nicht mehr die Seele aus dem Leib, nur um am Ende wieder das eine Gegentor zu viel zu kassieren.

In Frankfurt hätte das Spiel beim Stand von 2:1 für den VfB in Richtung der drängenden Eintracht kippen können. „Wir sind wieder ein bisschen in den alten Wildwest-Fußball reingerutscht“, gab Gentner zu: „Aber wir können uns mittlerweile besser kontrollieren.“

Die häufigsten Wörter, die man beim VfB derzeit hört, lauten: Stabilität, Kompaktheit, Kontrolle und Ordnung. Jeder Sieg und jeder neue Auftritt beweisen nur, wie leichtfertig Kramnys Vorgänger Zorniger diese Elf mit seinem notorischen Gegenpressing-Fußball in einen negativen Lauf trainierte. Der Ludwigsburger Jürgen Kramny scheint die große Chance, sich als Novize in der Bundesliga zu etablieren, zu nutzen. Als Interimscoach geholt, ist er seit Weihnachten der Chef. Ob Sportvorstand Robin Dutt nur so lange mit der Beförderung gewartet hat, weil er eigentlich lieber einen erfahrenen Trainer wie Lucien Favre verpflichten wollte, spielt da keine Rolle mehr.

Denn viele, die dem bodenständigen Kramny die Bundesliga nicht zutrauten, tun das mittlerweile, auch wenn die Belastungsprobe einer Niederlagenserie noch fehlt. Dutt lobt die „motivierende Art“ Kramnys und wie nachhaltig er „auf die Basics“ achte: „Jürgen nimmt sich nicht so wichtig, dementsprechend fühlen sich die Leute in seiner Umgebung wichtig.“

Kramny hat richtige personellen und taktischen Veränderungen eingeleitet: Unter Zorniger waren die Routiniers Daniel Schwaab und Georg Niedermeier außen vor, Niedermeier sogar ausgemustert. Nun bilden sie die Innenverteidigung. Rechts verteidigt Neuzugang Kevin Großkreutz spektakulär unspektakulär in der tiefer stehenden Viererkette. Serey Dié spielt mittlerweile alleine auf der Sechs. „Damit fühlt sich Serey wohler, und ich muss nicht mehr ständig in Rückspiegel gucken“, erklärt Gentner seine etwas offensivere Position.

Filip Kostic und Daniel Didavi spielen in der Offensive weiterhin so aufregend, dass sie auch für Champions-League-Kandidaten interessant werden. Das allein zeigt die Wende in Stuttgart: Plötzlich erscheinen Perspektiven am Horizont, wo vor acht Wochen noch Untergangsszenarien das Bild prägten.

Am Dienstag empfängt der VfB im DFB-Pokal-Viertelfinale Borussia Dortmund. Jürgen Kramny sagt: „Auch gegen den BVB ist es nicht unmöglich, ins Halbfinale einzuziehen.“ Er klang dabei kein bisschen überheblich. Dieses Selbstvertrauen haben sich der pragmatische Trainer und seine Elf verdient.

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