piwik no script img

Heimat im Plural

Folklore Das Projekt „Heimatlieder aus Deutschland“ aktualisiert Volkslieder, die mit der Arbeitsmigration hergekommen sind. Nun ist es erstmals in Hamburg zu erleben

von Robert Matthies

Würden sie auf Deutsch singen, sie klängen wohl wie eine Mischung aus den Prinzen und den Comedian Harmonists, sagt Ante Bagarić lachend. Seit vier Jahren leitet der Berliner ein zehnköpfiges Ensemble, das Klapa-Lieder singt: eine polyphone A-cappella-Volksmusik, die sich Mitte des 19. Jahrhunderts an der dalmatinischen Küste entwickelt hat. Gesungen wird sie in Kroatien als regionale Volksmusik bei Hochzeiten, Taufen und anderen Familienfesten. Oder einfach beim Boccia im Park.

Seit rund zwanzig Jahren wird Klapa in Kroatien immer populärer. Junge Menschen entdecken den traditionellen Gesang für sich und entwickeln ihn weiter, 2012 wurde er von der Unesco als immaterielles Weltkulturerbe anerkannt, 2013 vertrat eine Klapa-Kombo Kroatien sogar beim Eurovision Song Contest.

Für sich entdeckt hat auch Bagarić den Musikstil erst vor sieben Jahren. Für ihn und seine Mitstreiter war es bis dahin die Musik der Eltern, die hier und da im engsten Familienkreis und bei den Verwandten in Kroatien gesungen wurde. Denn geboren und aufgewachsen sind fast alle Mitglieder von Klapa-Berlin in Deutschland, als Kinder kroatischer ArbeitsmigrantInnen.

Gegründet hat das Ensemble vor 20 Jahren ein an eine Berliner Gemeinde entsandter kroatischer Priester. Seitdem singt die Gruppe vor allem bei Kirchenveranstaltungen, auf Messen oder in der kroatischen Botschaft. Seit ein paar Jahren aber steht sie auch auf großen Bühnen in ganz Deutschland und singt längst nicht mehr für die kroatische Community allein.

Denn Klapa-Berlin ist eines von 13 Ensembles, die im Rahmen des Projekts „Heimatlieder aus Deutschland“ seit drei Jahren durchs Land touren und Folklore präsentieren, die in den vergangenen Jahrzehnten mit der Arbeitsmigration eingewandert ist.

Initiiert haben das Projekt 2012 der Berliner Labelmanager Jochen Kühling und der Autor und Migrationsforscher Mark Terkessidis. Die Idee: die eingewanderte Folklore überhaupt erst mal als Musik eines vielfältigen Deutschland zu entdecken, sie zu sammeln und zu konservieren – und zu aktualisieren und revitalisieren. Aus den Kirchen und Kulturvereinen will das Projekt sie herauszuholen und auch einem bildungsbürgerlichen Publikum präsentieren. Nicht als Weltmusik oder leckeres Multikulti, sondern als Ausdruck einer Heimat, die längst nur noch im Plural zu denken ist.

Denn bis dahin, sagt Terkessidis, sei die Musik, die mit den MigrantInnen nach Deutschland gekommen ist, vollständig ignoriert worden. Sie habe vor allem als Sozialprojekt für Einwanderer gegolten, die ohnehin irgendwann wieder in ihre Herkunftsländer verschwinden würden. Aber Gäste, das sind sie schon lange nicht mehr.

Die Suche erwies sich denn auch als gar nicht so leicht. Monatelang hat Initiator Kühling in Berlin Chorverzeichnisse gelesen, Vereinslokale und Restaurants besucht. Herausgekommen ist schließlich ein vielfältiger Mix deutscher Heimatlieder mit Migrationshintergrund: von portugiesischem Fado über kubanischen Son und marokkanische Gnawa bis zu vietnamesischem Quan-Ho-Gesang.

Drei überaus erfolgreiche CDs sind im Rahmen des Projekts bis heute erschienen: Zu den Berliner Ensembles sind für eine zweite Compilation Chöre und Bands aus Augsburg gestoßen – im Dezember wurde „Heimatlieder aus Deutschland – Berlin/Augsburg“ dann sogar für den Preis der Deutschen Schallplattenkritik nominiert. Und unter dem Titel „New German Ethnic Music“ ist im Jahr zuvor schon ein Album mit Remixen von namhaften Berliner MusikerInnen und TechnoproduzentInnen wie Mark Ernestus und Guido Möbius erschienen.

Vor allem auf der Bühne aber ist das Projekt ein Riesenerfolg geworden. Von der Berliner Komischen Oper übers Deutsche Theater in Göttingen bis zur Semperoper in Dresden: Fast überall war der Abend ausverkauft. Am heutigen Samstag nun ist das Projekt erstmals auch in Hamburg zu erleben: zum Abschluss der Lessingtage wird der „Heimatabend“ als großes gemeinsames Fest gefeiert.

Sa, 6. 2., 20 Uhr, Thalia Theater

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen