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Auf dem Teppich geblieben

OPERNPREMIERE Barrie Kosky inszeniert an seiner Komischen Oper „Jewgeni Onegin“ von Pjotr Iljitsch Tschaikowski: eine einfache Geschichte von wirklichen Menschen, die ihre Liebe verpassen

von Niklaus Hablützel

Große Oper ist manchmal nur deswegen groß, weil sie sehr einfach ist. Deswegen wohl haben Tschaikowskis „Lyrische Szenen“, wie sein „Jewgeni Onegin“ im Untertitel heißt, ihren ewigen Stammplatz im Repertoire des Welttheaters. Sie erklären nichts und haben keine Botschaft zu verkünden. Sie erzählen nur ruhig und voll Mitleid, was Menschen widerfahren kann, die große, aber eben auch sehr einfache Träume haben.

So einfach und groß wie der Brief, den Tatjana Larin, das junge Mädchen auf dem russischen Landgut, an Jewgeni Onegin schreibt, den jungen Mann, der bei ihrem Nachbarn Lenski zu Besuch ist. Sie liebt ihn, weil sie von einem so reinen und großen Glück träumt, das sie sich nur als Liebe zu diesem einen fremden Mann vorstellen kann, den sie gar nicht kennt.

Barrie Kosky verdunkelt dafür die Bühne und fixiert die Sängerin Asmik Grigorian mit dem Strahl eines einzigen Scheinwerfers. Er beleuchtet nur ihren Rücken und ihre Hände, die sich pressen und kneten. Nicht einmal der Kopf ist zu sehen, denn Kosky führt wieder einmal vor, warum er ein so außergewöhnlich guter Opernregisseur ist. Diese über dem Gesäß gefalteten und verknoteten Hände sagen alles genauer und besser, als es das Mienenspiel einer Sängerin jemals könnte, die gerade dabei ist, mit den dabei unvermeidlichen Grimassen eine enorm schwierige Riesen­arie zu singen.

Asmik Grigorian bewältigt sie gut, obwohl ihre Stimme oft sehr hart und gequält klingt. Man gewöhnt sich aber an diesen Mangel, weil er unterstützt, worauf es Kosky ankommt. Dieses Mädchen ist frei von jeder Sentimentalität, seine Gefühle stellen nichts dar, sind keine Symbole für was auch immer. Sie sind nur sichtbar und so verknotet wie die Hände, die Verlegenheit, Aufregung, Erwartung und Ängstlichkeit zeigen, all das also, was die junge Frau tatsächlich bewegen muss, wenn sie einen so gewagten Brief schreibt.

Sie hat Mut, denn die russischen Normen des 19. Jahrhunderts verteilen die Rollen von Mann und Frau ganz anders. Darauf legte Alexandr Puschkins literarische Vorlage von 1833 zweifellos großen Wert. Aber für Kosky (und wohl auch für Tschaikowski) ist das weniger wichtig. Denn Onegins Antwort ist Anlass für die nächste Personenstudie, die wiederum Gefühle wörtlich nimmt, statt sie zu überhöhen. Günter Papendell ist inzwischen eine Stütze des Ensembles, sein Bariton hat an Volumen gewonnen, und jetzt zeigt er auch, was er als Schauspieler kann.

Sein Onegin ist kein gefühlloser Schnösel, der sich lustig macht über das dumme Mädchen. Im Gegenteil. Er versteht den Brief sehr gut, nur teilt er dieses Gefühl nicht. Er geht nachdenklich, mit verlegen gesenktem Kopf auf und ab, gibt sich dann einen Ruck, schaut in die Ferne und überwindet sich dazu, die Wahrheit zu sagen. Es ist wie immer bei Kosky konkret zu sehen, nicht vage nachzuempfinden oder im Programmheft zu lesen, dass dieser junge Mann auch seine Träume hat. Sie sind anders, und ebenfalls einfach. Onegin möchte die Welt sehen.

Nichts daran ist falsch, und Kosky belässt es dabei, denn es reicht aus für die Tragödie, die er nun ebenso ruhig Szene für Szene ohne Pathos und Überhöhung weitererzählt. Das Ende ist keine metaphysische Erschütterung, aber enorm stark in seiner dramatischen Konzentration. Tatjana und Onegin haben ihre Liebe verpasst, denn auch der Fürst Germin, sehr schön gesungen von Alexey Antonov, hat einen Traum vom Glück, das er nicht weniger herbeifantasiert als Tatjana einst das ihre. Sie hat ihn dafür geheiratet und bleibt bei ihm, weil das ihre Entscheidung war, die sie so ernst nimmt wie ihre Liebe zu Onegin.

Wunderbar dichtes Kammerspiel ist das, näher an Puschkin vielleicht als an Tschaikowski, und womöglich hat Kosky damit sogar seine Fans verprellt, die ein größeres Spektakel erwartet haben. Wirklich spektakulär ist in der Tat allein das Bühnenbild. Rebecca Ringst hat in einer sächsischen Werkstatt auf historischen Webstühlen eine großartige Stoppelwiese weben lassen.

Dieser Teppich bedeckt jetzt die gesamte Spielfläche, die Drehbühne eingeschlossen, hin­ten und an den Rändern von Bäumen begrenzt. Zauberhaftes Licht taucht die Waldwiese in spätsommerliche Abend- und Morgenstimmungen. Klaus Bruns hat die Bauernmädchen in leichte, dezent farbige Kleider gesteckt, die Männer in lockere Anzüge aus feinem Stoff, und in dieser Tschechow’schen Sommerfrische fühlt sich natürlich auch Tschaikowski überaus wohl. Nánási dirigiert seine unsterblichen Volkstänze der Chorszenen etwas ruppig, aber das macht nichts, weil auf Ringsts Bühne alles wie hingemalt aussieht. Sogar Koskys strenges Präzisionstheater wird zum Gedicht, handgewoben sozusagen, wenn auch nicht in Sachsen.

Nächste Vorstellungen: 3., 6., 26., 28. 2. 2016

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