: Im wundersamen Neonlampenwald
Tanz Am Freitag feierte in den Weddinger Uferstudios „andropolaroid 1.1“ von Yui Kawaguchi Premiere.Die Ausnahme- wie auch Außenseiter-Choreografin überzeugt erneut mit einer technizistischen Soloarbeit
von Astrid Kaminski
Nachdem sie in ihrem letzten Stück programmierte physiognomische Silikonherzen ans Publikum verteilte, wirkt nun das Singen der Neonlampen in Yui Kawaguchis „andropolaroid 1.1“ wie eine technische Fingerübung. Das ist der Maßstab, den die Ausnahme- und irgendwie auch Außenseiter-Tänzerchoreografin mit ihren technizistischen Soloarbeiten setzt.
Seit 2005 arbeitet sie von Berlin aus, aber erst im letzten Jahr ist mit dem Kunstherz-Stück „MatchAtria“ (mit dem bildenden Künstler und Filmregisseur Yoshimasa Ishibashi), langsam durchgesickert, wie perfekt sich die Choreografin in artifiziellen Naturen orientiert. Und auch, wie entschieden sie der Frage nach den emotionalen Beziehungen zu einer künstlich-intelligenten Umgebung nachgeht. In Insiderkreisen war das schon früher klar. So arbeitete sie mit dem für seine virtuellen Raumarchitekturen bekannten Kollektiv unit cell/66b, wurde zur österreichischen ARS Electronica, einem der wegweisenden Festivals elektronischer Kunst, oder zur Virtual Reality Conference in Japan eingeladen.
Hochentwickelte Technik bestimmt jedoch nicht nur das Set von Yui Kawaguchis Arbeiten, sondern auch ihren Tanz. Von klassischem Ballett über Neoklassik und Zeitgenössisches bis hin zum HipHop reicht ihre Klaviatur. Mit dieser trainierten Körperlichkeit ist sie dann auch mit kommerzielleren Virtuosenshows unterwegs wie im letzten Jahr „Red Bull Flying Bach“. Die so entstehende Spanne zwischen Effektbeherrschung und Kunst ist die Herausforderung, die es zu meistern gilt.
„andropolaroid 1.1“, das am Freitag in den Weddinger Uferstudios Premiere feierte, ist eine Aktualisierung eines Stücks von 2010, für das Kawaguchi mit dem Kölner Tanzpreis ausgezeichnet wurde. Es spielt in einem Neonlampenwald mit 64 vertikal gehängten Röhren, die alle einzeln angefahren werden können. So entstehen unter der Lichtregie von Fabian Bleisch zeichenhafte Stadtlandschaften, Bewegungsresonanzfelder, choreografische Op-Art-Bildflächen oder auch Verschaltungen mit dem musikalischen Score nach dem Prinzip eines mechanischen Klaviers. Dabei ist die Hängung der Röhren schon ein visuelles Kunstwerk an sich: Was zunächst aussieht wie zwei schräge Dreieckflächen, die in der Raumdiagonalen auf eine gemeinsame Senke zulaufen, sind bei näherem Hinsehen zwei ebenenverschobene Flächen, die auch aus dem Prinzip einer gedrehten Raute hervorgegangen sein könnten – ein grafischer Lichtkörper, der in seiner mehrdimensionalen Geometrie den Verstand angenehm anregt.
In diesen formalistischen Lampenwald wird Yui Kawaguchi wie eine Martial-Art-Heldin in Retro-SciFi-Ästhetik hineingebeamt. Im Stopmotionmodus meistert sie mehrmals einen festgelegten Parcours, ein Huschen, Lauern, Kauern, In-den-Startlöchern-Sitzen, Raumerobern, Taumeln. Das Sounddesign begleitet ihre schablonenhaften Posen und Moves wie ein EKG-Monitoring. „Andropolaroid“ ist ein Kunstwort zwischen android und Polaroid, ein Wort, das eine Reibung zwischen Zukunft und Nostalgie erzeugt. Vielleicht, weil das Futur durch die Gegenwart gesehen immer auch ein bisschen wie ein altes Foto aussehen muss.
Dabei steht aber die SciFi-Ästhetik hier nicht für sich, sondern ist metaphorisch besetzt. Denn eigentlich, laut Programmheft, ist die Migration der gebürtigen Japanerin nach Deutschland das zentrale Thema. Die Frage, was mit dem Fremden passiert, wenn es nicht mehr fremd ist, wenn sich aus Vertrautem und Unverständlichem neue Schnittmengen ergeben – wie bei dem Deutsch, das in japanischer Satzmelodie aus den Boxen kommt.
Dabei verfolgt Kawaguchi einerseits eine semiotische, andererseits eine emotionale Linie. Bewegungspatterns entstehen aus körperlichen Begrüßungsfloskeln, die Moves schmiegen sich an die Sprachmischungen an, werden von ihnen getragen oder widersetzen sich in verschraubten Rückwärtsschulterrollen.
Diese bewegungssprachliche Idiombildung könnte noch ziselierter sein, teilweise bleibt sie zu sehr in technischen Floskeln. Wenn die Heldin am Ende ein einziges kleines Lichtlein umarmt, ist das wohl eine Andeutung dafür, dass sie ein bisschen angekommen ist am neuen heimischen Herd – wenn auch in einem Outfit, in dem sich die Farben der japanischen Flagge spiegeln. In diesem Leben mit Rollenzuschreibungen obsiegen letztlich der tänzerische Flow und die ausdifferenzierte Lichtraumskulptur über das Narrativ, die Kunst über das Leben.
Wieder vom 2. bis 6. Februar, 20.30 Uhr; Uferstudio 14
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