: Verführen in Aachen
Alemannias neuer Tivoli soll neben dem alten stehen
Es gibt im Dasein des Aachener TSV Alemannia Aachen 1900 e.V. eine Konstante, die größer nicht mal denkbar ist. Diese Konstante ist 83 Jahre alt, hört auf den Namen Leo Führen und hat am Montag bei der Alemannia-Mitgliederversammlung beifallumrauscht die Ehrenurkunde für 70-Jährige Vereinstreue erhalten. Lange schon ist der stramme kleine Mann Mitglied des (Wenn die Aller-)Ältestenrats und vor allem Ehrenpräsident „unserer geliebten Alemannia-Familie“, wie er stets sagt. Und Führen redet, schmissig, zackig, gern und immer. Seine MV-Auftritte sind Kult.
So auch am Montag. Führen berichtete von seinem ersten Spiel in der ersten Mannschaft (22.10.1939) und wie er bald kriegsverletzt spielunfähig zurückkam an den Tivoli. Minutenlang lobpreiste er ehrenamtliche Kräfte. Gern überholt er sich im Redeschwall selbst – vor Jahren sprach er Oberbürgermeister Linden als Herr Oberlinden an. Führens Pathos-Performances enden immer, am Montag war es 22 Uhr 02, mit einem dreifach donnernden Hip Hip Hurra. Und die 493 Vereinsmitglieder ließen das tief verqualmte „Saaltheater Geulen“ bedenklich beben.
Erst nach Führen war Zeit für die wichtigen Themen. Überraschend, teilte Präsident Horst Heinrichs mit, gibt es Probleme, den Profibetrieb als Kapitalgesellschaft auszugliedern. Heinrichs (“Der Uefa-Cup hat uns in der ganzen Welt bekannt gemacht“) berichtete von Auskünften der Finanzbehörden, wonach erhebliche steuerliche Probleme auftauchten.
Noch wichtiger der Stadionneubau, ein Thema, das Aachens Fußballfreunde seit Jahren umtreibt. Keinen passenden Ort in Aachen schien es zu geben, wodurch man schon stadtflüchtig werden wollte. Doch am späten Montagabend dann der Auftritt jenes Jürgen Linden, SPD-OB, Alemannia-Verwaltungsrat und Zauberkünstler: Zack, lag die Lösung auf den Tischen. Neuer Tivoli neben dem alten – das Traditionsgemäuer wird nur ein paar hundert Meter ostwärts verschoben.
Mit allen Nachbarpächtern, so Linden, sei man dabei „Verlagerungsverträge zu schließen“: Der Post-Telekom-Verein zieht um und die 140 Kleingärtner bekämen Ausgleichsflächen nebenan in der Soers: „Wir haben alle wichtigen Parameter verhandelt. Alemannia steht im vaterstädtischen Interesse“. Jubel brandete auf, als hätte Leo Führen das Tor des Monats geschossen.
Nur wie hat der Strippenzieher Oberlinden, seit 16 Jahren im Amt, das wieder gemacht? Noch vor zwei Wochen gaben sich die Schrebergärtner, mit ihren Feuerbohnen und Kohlegrills teils 40 Jahre ansässig, aufsässig wie Öcher Asterixe: „Wir lassen uns nicht vertreiben.“ Kaum war Dr. Linden mit seiner städtischen Camarilla zu Gesprächen angerückt, heißt es: „Viele von uns sind betrübt. Aber es ist sinnlos dagegen anzukämpfen.“ Die Aachener Zeitung titelte gestern: „Gärtner räumen Lauben für Strafraum.“
Die Große Lösung soll also kommen. Ein Stadion für 30.000 plus ein weitläufiges Trainingsgelände, dazu ein Parkhaus, eventuell ein Hotel. Zwei Jahre werden draufgehen mit Formalien wie Baurecht und vor allem mit Lärmgutachten, dem letzten großen Fragezeichen. Ob bis dahin „das Trauma des Nicht-Aufstiegs“ (so Alemannias Aufsichtsratsvorsitzende) überwunden ist, weiß niemand. Sicher ist: Auch 2008 wird noch auf dem alten Tivoli gespielt, also zum 100. Geburtstag im ältesten Proficlubstadion Deutschlands. Das ist auch sehr wichtig. Hip Hip Hurra. BERND MÜLLENDER