Der Krabben-Urologe

Große Erfindungen der Weltgeschichte, die zu spät kommen: die Krabbenpulmaschine

Mittels Ultraschall werden die Hornhüllen der Krabben von Dr. Zott zertrümmert

Mit dem bisschen Glück des Neugierigen fängt es an. Jedenfalls bei Walter Zott aus Husum. Oder ist es der Widerschein im eigenen Kopf? Ein üppiges Neuronenfeuerwerk hält über Monate an. Der Mann verfällt dem Rausch des Umtriebigen. Vergisst darüber Frau und Kind. Nie zuvor Gedachtes treibt ihn an. Neuland also. Weißer Fleck auf unsichtbarer Unterlage. Dann ist es heraus. Walter Zott hat das Prinzip der Krabbenpulmaschine erfunden.

Nicht nur die Welt hat sich verändert, auch der Charakter des Erfinders während der Arbeit. Frau und Kind sind dankbar, hat sie doch dieser biesterliche Kerl nun endlich verlassen. Dem sie aus dem Weg gehen mussten, um nicht Schaden zu nehmen. Der das Reden einstellte. Sich nächtelang in hohen Tönen selbst beschimpfte. Der Scherben, Unrat, dicke Luft verbreitete und im Kühlschrank nichts anderes als Krabben duldete. Nun, nach vollbrachtem Werk, ist man wieder Familie.

Aber wie kommt der vielbeschäftigte Arzt Dr. Zott auf so eine Idee? Der vielleicht drei- bis viermal im Jahr Krabbensalat isst, wenn Waldorf nicht zu haben ist. Der mit Gonokokken und Treponema mehr Umgang hat als mit den Tierchen aus dem Wattenmeer.

Da war die obligatorische Tante. Auf dem Küchentisch der Heimarbeiterin in Friedrichskoog türmten sich die Krabben, wann immer das Kind Walter mit seiner Mutter zu Besuch kam. Lustig ging es zu, Nachbarinnen saßen um den Tisch herum, erzählten sich wunderbare Geschichten und ihre Finger pulten die Krabben von ganz allein. Eigentlich war es immer die gleiche Geschichte, vom „Fischer un siene Fru“. Was wäre, wenn Illsebills Mann einfach mal seine Klappe hielte und dem Butt Timpe Te keine Wünsche mehr auftrüge – nachdem es sich die Fischersleute in ihrem neuen Haus oder war’s schon das Schloss, jedenfalls nicht mehr der Pisspott, gemütlich eingerichtet hatten?

Solche und immer neue Variationen des Märchens erzählten sich die Frauen. War es das? Eine frühe kindliche Prägung. Um den Frauen mit einer Maschine die nicht ausgehende Arbeit zu erleichtern – für noch schönere Geschichten? Nein! sagt Walter Zott. Obwohl … Im Korridor hing ein Spruch: „Gott schuf das Meer und der Friese die Deiche.“ Das hat den Friesen Walter Zott beeindruckt.

Doch die eigentliche Idee seiner Erfindung ist nahe liegend bei dem Urologen Dr. Zott. Der seinen Patienten mittels Ultraschall die Nierensteine zertrümmert. Warum soll nicht die Hornhülle der Krabben mit Schall zu Staub werden können? Genau! Der Rest war Fummelei und Herumprobieren. Und schwierig.

Jeder, der schon einmal eine Krabbe in der Hand gehalten hat und ihr ans Fleisch will, weiß, was los ist. Der von Natur aus gut verpackte, schwimmende Wurm fordert einem viel Geschick ab, wenn man an sein Inneres herankommen will. Es dauert, bis man die Krabbenpulregel beherrscht. Den Kopf gegen den Rumpf leicht verdrehen bei gleichzeitigem Ziehen am gekrümmten Schwanzende. Irgendwann flutscht es, und man hat das Bessere in der Hand, wenn auch ein wenig zerquetscht und mit Hornsplittern garniert. Bis zur Phase einer einwandfreien Zubereitung aber ist mehr an Energie erforderlich, als durch den Verzehr des Krabbenfleisches aufgenommen wird.

Da kommt also Walter Zotts neues Gerät gerade recht, sollte man denken. Dem ist aber nicht so. Die Erfindung komme zu spät, heißt es bei der krabbenverarbeitenden Industrie. Die längst in Marokko pulen lässt. Dort wird der Löwenanteil der nordseeweiten Krabbenernte hingejettet – per Airbus geht es zu den Arbeitsplätzen. Es wird wohl in Nordafrika kaum so lustig zugehen wie bei den Heimwerkerinnen in Nordfriesland und dem immerhohen Krabbenhügel auf dem Küchentisch. Von den vielen fleißigen afrikanischen Händen wird so billig gepult, dass sich selbst Walter Zotts ultraschallschnelle Maschine nicht flink genug amortisieren lässt. Dabei ist der Energieverbrauch der Krabbenpulmaschine gerade mal so hoch wie der für den Transport der frischen Meerestiere vom Kutter zum Flughafen. Pro Krabbe berechnet. Auch das anfallende Nebenprodukt, allerfeinster Schalengrus, könnte als Bio-Abführmittel oder Schimmelpilzgift Verwendung finden. Könnte! Ja, ja …

Und wie geht es dem Erfinder dabei? Es hätte schlimmer kommen können, meint Walter Zott. Der Arztkollege und Naturforscher Robert Mayer aus Heilbronn ist für seine Entdeckung für verrückt erklärt worden. Seine Erkenntnis, dass Wärme und Arbeit sich in ihrer Art gleichen, schien den Zeitgenossen vor 150 Jahren dermaßen absurd, dass sie den Entdecker in die Nervenheilanstalt wegsperrten. Und das versteht sich bis heute: Wärme ist Wärme. Arbeit ist Arbeit. Geld ist Geld. Nur Kapital kann nicht bleiben, was es ist. Es muss mehr und mehr werden. Immer und ewig, wusste auch Illsebill, des Fischers Frau, noch kurz bevor sie wieder in ihrem Pisspott saß.

BERND MARTENS