piwik no script img

Freigeist mit dem Ohr nach innen

NACHRUF Keine Wiederholung, niemals! Der kanadische Pianist Paul Bley lernte von den Besten und spielte mit vielen Galionsfiguren des Jazz. Sein Œuvre ist beeindruckend

von Franziska Buhre

Jazzmusiker zeigen einander erkenntlich, indem sie sich zu Auftritten einladen. Im Februar 1953 aber teilt der 20-jährige Paul Bley dem berühmten Altsaxofonisten Charlie Parker lediglich mit, die Workshop Band und das Fernsehen in Montreal seien bereit für dessen Besuch.

Bley fliegt mit Parker also in seine kanadische Heimatstadt, spielt Klavier im Konzert mit ihm und bringt ihn anschließend zurück nach New York. Dieser Gastauftritt Parkers ebnet den Weg für das legendärste Konzert der Jazzgeschichte. In der Massey Hall in Toronto zünden Parker, der Trompeter Dizzy Gillespie, der Pianist Bud ­Powell, der Bassist Charles Mingus und Max Roach auf dem Schlagzeug im Mai 1953 eine postume Explosion von ­Bebop in Echtzeit, denn der so benannte Stil ist im Jazz damals nicht mehr angesagt.

Mingus lädt Bley ein, mit ihm und dem Schlagzeuger Art Blakey ein Album aufzunehmen. Diese Begegnung ist die erste der beiden folgenreichen für die Laufbahn des Pianisten, der in Montreal und an der New Yorker Juillard School studiert hat. Denn Mingus ist ein rezeptiver Bassist, sein Instrument im Dialog mit den anderen, offensiv präsent oder zurückgenommen, er verwirklicht seine Ideen mit den verschiedensten Besetzungen, nicht ausgehend von einer gegebenen Form.

Zu Bassisten unterhält Bley die längsten musikalischen Beziehungen seines Lebens, mit Charlie Haden spielt er in einem Zeitraum von 50 Jahren, mit Gary Peacock über vier Dekaden, mit Barre Phillips und Steve Swallow über drei. Die Begegnung mit dem Altsaxofonisten Ornette Coleman in Los Angeles 1958 hat weitreichende Folgen für Bleys Haltung zur Musik und seine Auffassung von Improvisation.

Für Paul Bley waren alle Instrumente eines Ensembles ebenbürtig

Für ihn sind fortan alle Instrumente eines Ensembles einander ebenbürtig, ebenso beide Hände auf dem Klavier. Sein Spiel löst sich vom Zentrum einer einzigen Tonart und folgt eher einem Atemrhythmus denn einem Metrum. Daher rührt, wie auch bei Coleman, die singende Qualität in Bleys Melodien und seine antizyklisch eingeschobenen Pausen.

Bley begreift eine Band nicht als Einheit, sondern als eine Zusammenkunft von Individuen. Und so entwickelt er die Fähigkeit, die auseinanderlaufenden Fäden der anderen Instrumentalisten auf der Klaviatur zu verweben. Sich niemals zu wiederholen, auch wenn er das gleiche Stück schon vorher gespielt hat, wird Bleys Maxime, er will nicht einfach das neue Kapitel eines vergangenen Konzerts aufschlagen. Stattdessen ist sein Sensorium für die musikalischen Partner gepaart mit dem Vermögen, das Ohr nach innen zu richten und sowohl unausgereifte als auch in sich stimmige Ideen einem unbekannten Verlauf zu überlassen.

Wohl deshalb hat Paul Bley eine Vielzahl an Alben mit Solo-Improvisationen eingespielt, sich dem eigenen Freigeist auf diese Weise von Neuem vergewissert. Aus dem beträchtlichen Repertoire an Komposi­tio­nen seiner ersten Frau, der Pianistin Carla Bley, schöpfte er ein Leben lang, gemeinsam mit ihr und anderen experimentierfreudigen Gleichgesinnten, darunter die Saxofonisten Sonny Rollins und Archie Shepp, die Pia­nisten Sun Ra und Cecil Taylor sowie die Trompeter Bill Dixon und Michael Mantler, hatte er 1964 in New York die „Oktoberrevolution des Jazz“ angezettelt und die Jazz Composers Guild gegründet. Diese Gruppe verschrieb sich der Freiheit der Performance und dem Anspruch auf Autorschaft vom Konzert bis zum Tonträger. Auch Annette Peacock stattete Bley mit zahlreichen Stücken aus, die Sängerin, Komponistin und Keyboarderin bestritt mit ihm 1969 das erste Konzert des Jazz mit Moog-Synthesizer. Bis zu seinem Tod am 3. Januar in Florida war Paul Bley mit der Videokünstlerin ­Carol Goss verheiratet, er wurde 83 Jahre alt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen