Aus dem Bockshorn kriechend

TANZ Am Freitag begannen in den Sophiensaelen die Tanztage 2013 und berichteten dabei gleich von den Mühen, Neues zu finden

Der Körper, von philosophischen und naturwissenschaftlichen Konzepten umstellt

Die Gespinste aus bunten Fäden, mit denen die Tanztage 2013 auf Postkarten und dem Programmheft für sich werben, sind ein geschicktes Logo. Wirken sie doch nicht nur attraktiv in ihrer Farbigkeit und geheimnisvoll in der Struktur, sondern knüpfen dazu an die Do-it-yourself-Lust und die Wiederkehr des Strickens an, eine Bewegung, die jünger ist als die mit ihrer 22. Ausgabe in die Jahre gekommenen Tanztage.

Doch wie das Stricken auch schon mal vor dreißig, vierzig Jahren Hochkonjunktur hatte, kommt einem dann im Programm der Tanztage einiges wie eine Wiederholung vor. Gleich der erste Abend mit Tanzstudien von Christine Borch und Antje Velsinger erzählte in den Sophiensaelen womöglich mehr über die Probleme, bei der Suche nach neuen Bewegungen den besetzten Feldern im Tanz auszuweichen, als dass der Erfindungsgeist beeindruckt hätte. Anstrengung ja, Frische nein strahlten die Produktionen aus.

Christine Borch, die zusammen mit Jule Flierl und Beynon Juckes ihr Stück „One Revolution, Respiration“ auf einem großen runden Tisch performte, wollte ihre Choreografie aus dem Atem entwickeln. Doch es war mehr ein Luftschnappen, ein Hecheln und Japsen, aus dem die drei Tänzerinnen ihre Bewegungen holten, in Schütteln und anfallartige Spannungen fielen – Hysterie und sexuellen Akten näher als anderen Zuständen des Seins. Jedes Luftanhalten, jedes Atemausstoßen, jedes Hochschnellen und jedes Zusammenfallen wirkte gesetzt und auf Effekt kalkuliert, und wenig nur merkte man vom Verfolgen und Ausprobieren einmal gesetzter Impulse. Dass es hier um das Entstehen von Gemeinschaft hätte gehen sollen, um die Suche nach Möglichkeiten der Veränderungen – man konnte es in einem Statement der Choreografin lesen. Sehen konnte man es nicht.

So arbeiten Anfänger. Das wäre nun auf einem Nachwuchsfestival legitim, würde nicht die gesamte Präsentation des Festivals mit hochgestochenen Statements stets ein fortgesetztes Weiterschrauben an avantgardistischen Positionen suggerieren. Peter Pleyer, der das Festival seit einigen Jahren schon betreut, scheint kein Gespür dafür zu haben, Künstler, die ihren Weg noch finden müssen, vor falschen Erwartungen zu schützen.

Es ist gewiss nicht einfach, Nachwuchsförderung immer zu einem Fensterchen zu machen, das einen Blick in die Zukunft des Tanzes erlaubt. Aber eine Präsentation, die auf einen mit akademischen und theoretischen Floskeln durchschossenen Jargon in den Ankündigungen verzichten würde, könnte den Künstlern und ihrer Verortung gerechter werden.

Das zweite Stück des Eröffnungsabends, von Antje Velsinger und Lea Martini getanzt, öffnete zum Beispiel ganz gut einen Blick in die Werkstatt, aus Alltäglichem, aus Erinnerungen und Situationen heraus Bewegungen zu entwickeln. Wie man mit Linien, einer Spur, die der kriechende Körper zieht, oder mit gesetzten Punkten arbeitet, wie Verschiebung der Betonung Spannung in einfache Abläufe bringt, wie Wiederholung Empfindungen steigert, all das konnte man erfahren. Aber muss man deshalb gleich auf „Einsteins Raum-Zeit-Theorie“ verweisen?

Dass sich der Körper von philosophischen und naturwissenschaftlichen Konzepten umstellt sieht, ist vermutlich für eine jetzt junge Tänzergeneration eine größere Herausforderung als für frühere, die noch nicht so dem Anspruch grenzüberschreitender Forschung ausgesetzt waren.

Das scheint die Konzentration auf den Körper und seine Mittel zu erschweren. So wirken viele junge Tanzstücke, als ob sich die Tänzer von überbordenden Denkfiguren in ein Bockshorn hätten jagen lassen, dem sie nur auf allen vieren kriechend wie bei Antje Velsinger oder hyperventilierend wie bei Christine Borch entkommen zu können glauben. KATRIN BETTINA MÜLLER

■ Tanztage, bis 14.1., Sophiensaele, Sophienstr. 18. www.tanztage.de