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Meisterwerke über Esel

Kino Die Französin Mag Bodard war die erste Frau, die Filme produzierte. Darunter Perlen von Jean-Luc Godard, Robert Bresson und Agnès Varda. Das Kino Arsenal widmet ihr eine Hommage zum 100. Geburtstag

Catherine Deneuve als Prinzessin in Jacques Demy „Eselshaut“ Foto: Arsenal Institut

von Ekkehard Knörer

Eine unwahrscheinliche Geschichte: Mag Bodard, in Turin geboren als Marguerite Perato, war eigentlich Journalistin. Sie hatte für Elle aus Indochina berichtet, lernte in Paris den Starjournalisten Pierre Lazareff kennen, Chefredakteur der Tageszeitung France-Soir, dann Begründer der ersten wichtigen Reportagesendung des französischen Fernsehens. Lazareff und Bodard wurden ein Paar, aber Bodard ging ihren eigenen Weg. Als einzige Frau weit und breit begann sie, zunächst noch von Lazareff unterstützt, unter dem Label Parc Films Kinofilme zu produzieren. Und nicht irgendwelche Filme, sondern einige der größten und gewagtesten Meisterwerke des französischen Kinos der sechziger Jahre.

Nüchtern im Zugriff

Die Reihe eröffnet mit Jean-Luc Godards „Zwei oder drei Dinge, die ich von ihr wusste“, dem geflüsterten Porträt einer Frau und der Vorstadt, soziologisch im Blick, nüchtern im Zugriff, kapitalismuskritisch in der Analyse. Höhepunkt der am wenigsten verspielten Phase seines Werks. Godard freilich war für Bodard gar nicht so wichtig; die Nouvelle Vague hatte ohnehin ihre eigenen Netzwerke. Viel näher waren Bodard die ästhetischen Antipoden Jacques Demy und Robert Bresson. Für beide waren ihr Mut und ihre Entschlossenheit wiederum von großer Bedeutung. Nie war Bresson so produktiv wie in den vier Jahren, in denen seine zwei Bodard-Produktionen entstanden, nämlich „Zum Beispiel Balthasar“ und „Die Sanfte“. Drehs mit Tieren sind für jeden Produzenten ein Alptraum, der Protagonist von „Zum Beispiel Balthasar“ ist ausgerechnet ein Esel. Alles Leid der Welt und nach einer schönen Kindheit nicht mehr sehr viel Glück erlebt das Tier unter dem Wechsel seiner Besitzer. Das wird von Bresson gewohnt streng, nicht allegorisch, sondern in jedem Moment sehr konkret und umso herzzerreißender erzählt.

Auch Bodards Liebllingsfilm trägt einen Esel im Titel, nämlich Demys „Eselshaut“. Mit Demys eastmancolor-buntem und im konsequenten Rezitativ-Dialog höchst eigensinnigen Musical „Die Regenschirme von Cherbourg“, ihrer zweiten Produktion, hatte Bodard 1964 gleich die Goldene Palme gewonnen.

Sechs Jahre später steckte unter der Eselshaut, wie schon unter dem Regenschirm des anderen Films, Catherine Deneuve. Demy verfilmt hier ein Märchen von Charles Perrault, in dem eine Prinzessin dem Inzestansinnen ihres geliebten Vaters ausweichen muss. Auf der Oberfläche treibt Demy der Geschichte alle Finsternis aus, mit zauberhaften kinemagischen Verschwinde- und Flug-Tricks à la Meliès, mit Kuchenbäckerchansons von Michel Legrand, das Absurde streifender, das Berückende treffender Ausstattung und mit Kleidern, die der Schönheit des Mondes und der Sonne so nahe kommen, wie es nur geht. Alles ist möglich in diesem Film, sodass man kaum staunt, wenn am Ende der Hubschrauber kommt und das Paar zum glücklichen Ende davonträgt.

Es wäre gelogen, wollte man sagen, Bodard habe nur Meisterwerke produziert – allerdings ist die Dichte erstaunlich, Agnès Vardas faszinierender „Le bonheur“ ist darunter, wirklich ein Film über das Glück, ebenso wie Maurice Pialats erster Langfilm „Nackte Kindheit“, ein großer und von Erklärungen freier Film über einen Waisenjungen, dem auf dieser Welt vielleicht nicht zu helfen ist. Man ist fast beruhigt, in Bodards Filmografie auch eine heute komplett und wohl zurecht vergessene Verfilmung der Pulp-Bücher um den Detektiv Nick Carter (den Eddie Constantine spielt) zu finden.

Bodard produzierte die gewagtesten Filme des franzö­sischen Kinos

Vergessener Held

Ebenfalls vergessen und seinerzeit gar nicht ins Kino gekommen, aber durchaus zu entdecken, ist „Paul“, der einzige Langfilm des aus Ungarn stammenden Bildhauers und Filmemachers Diourka Medveczky. In „Paul“ verfolgt er seine Lebensgefährtin Bernadette Lafont und die Nouvelle-Vague-Ikone Jean-Pierre Léaud durch scharf konturierte Schwarz-Weiß-Einstellungen aus einem alternativ-mönchischen Leben in den Cevennen. Von Idyll hat das wenig zwischen skulpturaler Stillstellung der Körper und wilder Flucht zu peitschenden Schüssen vor einem rasenden Eber. Medveczky galt damals bei manchen als kommender Großer, verschwand dann aber in der französischen Provinz und hatte mit dem Kino nie wieder zu tun.

Mag Bodard wiederum zog sich zwar Ende der siebziger Jahre aus der Produktion von Kinofilmen zurück. Mit ihrer 1972 gegründeten Firma Cinémag hat sie jedoch noch bis vor zehn Jahren Serien und Filme für das französische Fernsehen produziert. Am 3. Januar hat sie ihren 100. Geburtstag gefeiert. Wie schön, dass wir mit einer Reihe großartiger Filme mitfeiern dürfen, die es ohne Mag Bodard gar nicht gäbe.

Mag Bodard: bis 31. Januar, Kino Arsenal

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