Berliner Szenen
: Krieg auf dem Schulhof

Nicht neutral

„Das ist wie bei uns in der Schule“, überlegt das Kind laut

Die Flüchtlingsproblematik geht an den Kindern nicht spurlos vorüber. Sie haben viele Fragen. Um meinem Neunjährigen das komplexe Thema verständlicher zu machen, lese ich ihm seit Sommer „Die Kinder aus Nr. 67“ von Lisa Tetzner vor. Die neunbändige Kinderodyssee aus den 1940er Jahren beschreibt das Leben dreier Berliner Kinder in der NS-Zeit: Die Jüdin Mirjam flieht mit ihrer Tante nach Südamerika. Erwin geht mit seinem kommunistischen Vater nach Schweden. Und Paul bleibt zurück und glaubt an die neue Zeit. Die drei sind uns – nicht nur ihrer Berliner Herkunft wegen – sehr ans Herz gewachsen.

Das Kind hat mitgelitten mit Mirjam, die nach langer Irrfahrt schließlich als eine von wenigen einen Schiffbruch überlebt. Und mit Erwin, der sich in Schweden fremd fühlt und seine Mutter und Geschwister vermisst. Ja, mein Sohn kann auch äußerst empathisch sein. Aber leider ist er auch ein schrecklicher Rüpel. Kaum eine Woche ohne Prügelei auf dem Schulhof.

In Band 7 kommen drei Kinder aus Amerika ins besetzte Frankreich. Überall wird gekämpft und die drei schlagen sich auf gefahrvollen Wegen bis in die neutrale Schweiz durch. Krieg und Neutralität sind hier zentrale Themen. „Das ist wie bei uns in der Schule“, überlegt das Kind laut. „Wieso, ihr seid doch nicht im Krieg.“ „Na ja, aber wir streiten uns doch auch dauernd. Und ich krieg immer den Ärger. Und Jonas nie.“

„Und was hat das mit dem Buch zu tun?“. „Ist doch klar. Ich bin wie Frankreich. Wenn ich Stress kriege, wehre ich mich. Und krieg dann noch mehr Ärger. Jonas hält sich immer raus. Sagt, er war’s nicht. Dann glauben die Lehrer ihm, und lassen ihn in Ruhe. Wie die Schweiz. Die sind beide neutral.“ „Und, was ist besser?“ „Keine Ahnung. Aber sich immer rauszuhalten ist doch auch keine Lösung, oder?“ Gaby Coldewey