Alejandro Iñárritus Film „The Revenant“: Im Chaos von Pfeilen und Schüssen
In „The Revenant“ überzeugt Leonardo DiCaprio vor allem durch körperlichen Einsatz. Dialoge sind hier pointenfrei und nebensächlich.
Man kann den mexikanischen Regisseur Alejandro González Iñárritu ganz gut mit einem Widerspruch beschreiben: Er scheint es sich gern schwer zu machen. Selbst bei einer leichtfüßig daherkommenden Komödie wie seinem letztjährigen „Birdman“ verkomplizierte er die Lage, indem er seinen Kameramann Emmanuel Lubezki alles vorgeblich wie in einer Einstellung drehen ließ. Vier Haupt-Oscars (Bester Film, Beste Regie, Bestes Drehbuch, Beste Kamera) waren der Mühen Lohn.
Vom Set seines neuen Films „The Revenant“ sickerten damals schon Gerüchte von schier unerträglichen Drehbedingungen durch, von Schnee und Eis, erfrorenen Kameras, frierenden Menschenzehen und dem ehrgeizigen Plan, alles draußen und bei Naturlicht aufnehmen zu wollen.
Einer wie Iñárritu muss es als Kompliment verstehen, wenn man sagt, dass man dem fertigen Filmprodukt die Schwere der Umstände, unter denen es entstanden ist, durchaus ansieht. „The Revenant“ ist tatsächlich ein Film, für den man sich am besten ein wenig abhärtet und wenigstens im Geiste Handschuhe und Mütze griffbereit hält.
Es passt bestens, dass Iñárritu mit Leonardo DiCaprio diesmal einen wahren Schwerarbeiter der Schauspielbranche für die Hauptrolle engagiert hat. Dass „The Revenant“ den ersten Oscar-Gewinn für „Leo“ bedeuten könnte (nach vier Nominierungen), galt als abgemacht, bevor noch der erste Meter Zelluloid, pardon, das erste Megabyte Film gedreht war. Und tatsächlich spielt DiCaprio seine Trapper-Figur Hugh Glass mit jenem körperlichen Volleinsatz, wie ihn die „Academy“ so gern auszeichnet, bis über die Schmerzgrenze physisch-expressiv und zugleich wenig artikuliert. Man kann das bewundern, ohne dass man es mögen muss.
Nun war sicher auch das „Real-Life“-Vorbild, auf dem DiCaprios Figur beruht, der „Frontiersman“ Glass, ein Pelzjäger, Fallensteller und Fährtensucher, eher ein Mann der Taten als der Worte. Die Tatsache, dass seine Geschichte eines einsamen Überlebens allen Widrigkeiten zum Trotz bis heute überliefert wurde, spricht jedoch dafür, dass er auch als Erzähler zu überzeugen wusste.
Was und wer muss gerettet werden?
Glass war als Begleiter einer Pelzjäger-Expedition in Süd-Dakota 1823 von einem Grizzlybär angefallen und anschließend von seinen Gefährten sterbend zurückgelassen worden. Er soll sie später, quasi als Wiedergänger seiner selbst, eben als „Revenant“, unerbittlich verfolgt, ihnen aber schlussendlich vergeben haben.
Empfohlener externer Inhalt
„The Revenant“
Iñárritus Film fiktionalisiert die Überlieferung und macht aus Glass den Witwer einer amerikanischen Ureinwohnerin mit Halbblutsohn. Die beiden sind in „The Revenant“ die nicht von allen Teilnehmern geachteten Begleiter eines kommerziellen Pelzjäger-Expedition. Doch demonstriert ein in erschreckender Detailgenauigkeit inszenierter Überfall von Pawnees auf das Lager zu Beginn schon Glass’ großes Überlebenstalent. Im Chaos von Pfeilen und Schüssen weist er den Flüchtenden die Richtung zur Deckung hin und entscheidet taktisch klug darüber, was und wer gerettet werden muss. Nicht alle werden es ihm danken.
Wie es in letzter Zeit Mode geworden ist im Kino, schließt diese Auftaktszene im Kern schon alles Folgende mit ein. Thematisch ist etabliert, dass es um jenen Raubzug-Kapitalismus geht, bei dem die Beteiligten auf eigenes Risiko die Natur ausbeuten. Beim Sichern dieser „Beute“ gilt jeder gegen jeden: Sioux gegen Pawnee, Ureinwohner gegen Kolonialisten, Franzosen gegen Amerikaner. „Sie klauen immer von uns“, wird einer der „Weißen“ sagen, als er einer Pawnee-Leiche eine Taschenuhr abnimmt. „Und ihr habt uns alles geklaut“, sagt der Ureinwohner in seinem Rücken.
Grandios gefilmt, in langen und zugleich atemlos-hetzenden Einstellungen, die das absolut beklemmende Gefühl vermitteln, man wäre mitten unter den Angegriffenen, ist die Überfallszene einer der Höhepunkte des Films. Mehr noch setzt sie mit all ihren blutigen Details von gespaltenen Schädeln und röchelnden, pfeilgetroffenen Hälsen den Gefahrenton für die kommenden zwei Stunden. Von jetzt an gibt es selbst in den stillen Momenten kein Erbarmen mehr. Die majestätische Gebirgswaldkulisse mit ihrem Naturkathedralen schaffenden Baumbewuchs garantiert dies wie als unparteiischer Zeuge.
Kälte, Schmerz, Hunger und Rachedurst
Als Zuschauer kann man in diesen Film eintauchen wie in einen Alp- oder Fiebertraum, den andere träumen müssen: staunend und wohlig schaudernd. Während die Handlung eher dürftig bleibt – trotz eines von Tom Hardy in schillernder Bösartigkeit gegebenen Antagonisten – und Glass’ Ursprungssaga nur wenig ausschmückt, übernehmen Empfindungen wie Kälte, Schmerz, Hunger, Unerbittlichkeit und Rachedurst sozusagen den roten Faden.
„The Revenant – Der Rückkehrer“. Regie: Alejandro G. Iñárritu. Mit Leonardo DiCaprio, Tom Hardy u.a. USA 2015, 156 Min.
Ähnlich wie im wettermäßig völlig entgegengesetzten „Mad Max: Fury Road“ erzählt „The Revenant“ ganz in Bildern und Action-Folgen; die Dialoge kommen ohne Pointen aus und scheinen fast unwichtig. Manchmal bleibt rätselhaft, was passiert; die Dinge haben ihre eigene Logik wie das Auftreten der Bärin, die Glass – in einer weiteren grandios gefilmten Szene – fast ins Jenseits befördert: Man kann sich nicht wehren, weil man ihre nächsten Bewegungen nicht abschätzen kann.
Vielleicht ist es dieser Aspekt des Ausgeliefertseins, der bei Teilen der Kritik so viel Gegenwehr hervorruft. Für die, die nicht eintauchen wollen, bleibt Iñárritus große Bilderzählung oft leere, sich mit Bedeutsamkeit schmückende Parabel. In jedem Fall aber bietet „The Revenant“ einen interessanten Vergleich zum nächsten Schneewestern, Quentin Tarantinos Ende Januar startendem „The Hateful 8“. Nicht nur, weil sich die Redseligkeit der Tarantino-Helden vom Iñárritu-Murmeln abhebt, sondern vor allem, weil „The Hateful 8“ als analog gedrehter 70-mm-Western die nostalgische Polemik zu den knackig-klaren Digitalaufnahmen von „The Revenant“ formuliert.
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