: Nicht frei von Pathos
SCHAUBÜHNE Der britische Regisseur Simon McBurney inszeniert Stefan Zweigs Roman „Ungeduld des Herzens“ über den Untergang der K.-u.-k.-Monarchie und die Tragödie einer ungleichen Liebe als eine Art Live-Hörspiel
von René Hamann
Am Ende, genau am 22. Februar 1942, war Stefan Zweig selbst die Geduld ausgegangen. „Ich grüße alle meine Freunde! Mögen sie die Morgenröte noch sehen nach der langen Nacht! Ich, allzu Ungeduldiger, gehe ihnen voraus“, so endet des Autors Abschiedsbrief, bevor er sich mitsamt seiner Frau mit einer Überdosis Veronal ins Jenseits brachte. „Die langen Jahre des Wanderns“, das nicht immer einfache Exil, das ihn zuletzt nach Brasilien führte, waren ihm zu viel geworden.
Das ist nun länger als siebzig Jahre her – was bedeutet, dass sein Werk seit dem 1. Januar 2013 rechtefrei ist. Zahlreiche Verlage nutzen das für günstige Ausgaben, auch des einzig vollendeten Romans des weltberühmten österreichischen Schriftstellers. „Ungeduld des Herzens“ erschien zuerst 1938 in Schweden, da war der Autor schon einige Jahre in der Welt unterwegs. Ein Theaterstück ist das folglich nicht; aber es wurde zweimal verfilmt, und es gibt eine relativ frühe Hörspielfassung aus dem Jahr 1961. Jetzt hat sich der englische Regisseur Simon McBurney dem Buch gewidmet. An ein Hörspiel erinnert seine Bühnenfassung dennoch.
Denn McBurney, den man auch als Schauspieler kennt (zuletzt „Mission Impossible: The Rogue“), hat seine Meriten mit der englischen Gruppe „Théatre Le Complicité“ verdient. Die räumt seit Gründung 1983 gründlich mit überkommenen Dramatisierungsmethoden auf. Seine eigene Auswahl von Aufführungen scheint zwar manchmal etwas wahllos, und McBurney tanzt gerne auf verschiedenen Hochzeiten, springt zwischen Boulevard und Klassikern hin und her. Nach Brecht kommt Mozart, dann ein Filmdreh mit Tom Cruise.
Und nun ist er bei der Schaubühne. Die hat ihn endlich verpflichtet – sieben Jahre, nachdem er bei der Verleihung des Konrad-Wolf-Preises das Versprechen geben musste, mal mit einem deutschen Ensemble an einem Berliner Theater zu inszenieren. Entschieden hat sich McBurnley für diesen recht süffigen und schön dramatischen Stoff – Stefan Zweigs Roman über den Untergang der K.-u.-k.-Monarchie und die Tragödie einer ungleichen Liebe zwischen einer an den Rollstuhl gefesselten Behinderten (Marie Burchard) und einem jungen, feschen Leutnant, der sich aus Mitleid und Lust von der reichen ungarischen Familie verwöhnen lässt– was ihn in eine moralisch schwierige Lage bringt. Gespielt wird er einerseits von Christoph Gawenda, der hier als älterer Erzähler auftritt, und andererseits von Laurenz Laufenberg.
Aber was heißt schon Erzähler: Tatsächlich erzählen hier ständig alle. Und das sind nicht weniger als sieben Schauspieler. Sie rollen Requisiten hin und her, texten in Mikrofone, ihre Stimmen werden verzerrt, auch sprechen sie sich mal gegenseitig, womit ein leicht merkwürdiger Dopplereffekt erzielt wird. Angelegt hat McBurney das Geschehen als fortlaufende Aufführung unter Einsatz sämtlicher Mittel – wobei Musik und Video fast im Durchlauf verschwinden, was auch gut so ist. Reicht, wenn sich der Teleprompter im hinteren Bühnenbild spiegelt.
Eine Art Live-Hörspiel also. Erstaunlich ist, dass dieses zu Beginn steif wirkende Setting sich sukzessive steigert. Bis tatsächlich richtige Spannung aufkommt. Das liegt aber auch an Stefan Zweigs Stoff. Es geht um äußerst wichtige Fragen – was ist ein Menschenleben wert? Darf ich eine Liebe zurückweisen, auch wenn sie auf einem Missverständnis beruht? Oder muss ich da jetzt durch – und gleich heiraten, weil das so Sitte ist? Das alles ist natürlich, die Vorlage stammt schließlich von Stefan Zweig, nicht frei von Pathos. To say the least. Aber die Sprache ist hübsch umständlich: „Natürlich hatte ich alle gegen mich, denn in bewährter Praxis sucht sich der Selbstbetäubungstrieb […]am liebsten dadurch zu entledigen, daß er sie als null und nichtig erklärt, und schon gar mußte eine solche Warnung […]unwillkommen wirken angesichts eines […]splendid aufgedeckten Soupers.“
Das mag, wie überhaupt die Grundkonstellation, in Zeiten von beiläufig zur Seite gewischten Datingangeboten höchst verstaubt und moralisch irgendwie von vorvorgestern wirken (dazu wirkt die an Heidis Freundin Klara erinnernde Figur der Edith auch noch ziemlich passiv-aggressiv, so vom hier und jetzt aus betrachtet).
Aber McBurney fährt sämtliche Mittel des heutigen Theaters auf – nur den Urtext lässt er so, wie er ist. Keine Jugendsprache, nirgends. Nur Jugendstil. Und das lässt dem Stück die Spannung. Die Abgründe des Mitleids, die Vorboten des Krieges: Am Ende spielt der Ausbruch des 1. Weltkriegs eine entscheidende Rolle. Die Nacht ist also da und währt noch lange – das Ensemble an der Schaubühne spielt bis zur Atemlosigkeit.
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